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Post by Benedetto on Sept 7, 2014 14:43:52 GMT
Was auch immer Prior Ercole sonst von ihm denken mochte - immerhin hatte Benedetto sein Versprechen eingelöst: Der dicke Mönch war in den Kellerräumen des Klosters verschwunden, wo er sich eingerichtet hatte. Und abgesehen von einer Bitte um Pergament und Farben hatte er nichts weiter verlangt. Nicht einmal Nahrung, was aber angesichts der sonstigen Ablehnung der Klostersitten wohl wenig verwunderlich war. Umso überraschender kam der Wunsch des Mönches, mit dem Prior doch einmal gemeinsam zu Abend zu essen.
"Seht ihr...", hatte der fette, bleiche Mann gesagt "...ich habe das Gefühl, dass wir keinen guten Start hatten." Das Lächeln, dass diese Worte begleitete, wirkte nicht gerade echt. Aber andererseits hatte er dem Prior gegenüber angedeutet, dass er dem Kloster trotz seiner seltsamen Gebräuche durchaus von Nutzen sein könnte. Ihm versprochen, bei dem Abendessen den Beweis dafür zu erbringen. Und angedeutet, dass sein Gönner durchaus die Arbeit des Priors respektierte und ein gegenseitiges Arrangement daher für beide von Vorteil war.
Nun war der Abend gekommen und Benedetto machte sich auf den Weg zur Stube des Priors. Unter dem Arm hatte er ein Pergament, auf dem er Studien für das Werk angefertigt hatte, das nun hoffentlich irgendwo die Hallen der Prinzessin schmückte. Natürlich zeigten diese Studien nicht exakt das, was dort zu sehen gewesen war. Die düstere Gestalt war hier durch die vertraute Figur des Erlösers ersetzt, die Farben deutlich natürlicher und weniger rotlastig.
Die Posen hingegen waren ähnlich: Jesus, der eine Gruppe von Menschen segnete. Jesus vor den Toren von Jerusalem. Jesus, der den Reuigen vergibt, aber die Sünder straft. Jesus als Richter der Toten. Im Kreise seiner Jünger. Und zuletzt, wie er einen Mönch den Mund verschloss, ihn Demut und Bescheidenheit lehrend. Obgleich sie nicht so detailliert ausgeführt waren, wie ihre kainitischen Gegenstücke, war es doch eine feine Arbeit.
Benedetto hielt einen Moment inne. Dann klopfte er an die Tür des Priors.
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Post by Il Narratore on Sept 7, 2014 15:43:51 GMT
Ercole war der Prior des kleinen Klosters San Marcellino und an sich ein friedfertiger Mann. Gewalt widerstrebte ihm, selbst das wenige an väterlicher Gewalt, die vom Vorsteher einer Gemeinde erwartet wurde. Zwar vollzog er sie, so wie die Regeln des Heiligen von Nursia sie vorschrieben, und lehrte seine Brüder Demut, Schweigen und Gehorsam vor Gott und seinen Werken. Aber er genoß die Strafen nicht und noch weniger die Pflichten seines Amtes. In der Tat wäre er völlig zufrieden gewesen, zu beten und zu arbeiten und zu lesen. Doch ach - Gott hatte es für gut befunden seinen Brüdern ihn als Vorbild voranzustellen und sie hatten ihn gewählt. Nun musste er sich mit ihrem Oberen, Bischof Romperto, dessen Stellvertretern das Kloster offiziell unterstand als Teil der Diözese Genua, herumschlagen. Immerhin war der seit einigen Monaten erstaunlich überzeugend zu den Grundgedanken der Kirche zurückgekehrt: Liebe und Güte. Wo Gott aber eine Last von seinen Schultern nahm, nämlich die regelmäßigen Streitereien mit den Gesandten Rompertos, gab er anscheinend eine neue. Der Erzbischof von Mailand oder jedenfalls jemand seiner direkten Umgebung wiederum hatte für gut befunden, in die Angelegenheiten seines unterstellten Bischofs zu Genua einzugreifen und ihm diesen Kerl vorbeigeschickt.
Vater Ercole schwirrte der Kopf von all diesen Rängen und Hierarchien und konfliktgeladenen Loyalitäten - wie sollte man Gott preisen und dienen, wenn selbst in der Klause des Klosters noch Menschen sich Herren über andere schimpften? Mit müden Augen öffnete er diesem Benedetto die Tür in seine bescheidene Zelle. Eine Pritsche an der Wand, ein Tisch vor dem kleinen Fenster, ein Kreuz über dem mit Stroh gestopften Kissen und ein einziger Stuhl waren die karge Ausstattung seines Raumes. Arbeit und Gebet und Lektüre, mehr brauchte es für ihn nicht. "Bruder Benedetto, guten Abend", begrüßte er den Mailänder und zog die Tür auf. Eine einladende Geste deutete auf den Stuhl. "Bitte, setzt euch doch. Es ist nicht so reichhaltig, wie es wohl in Mailand ist, doch gesund genug für Körper und Geist." Eine kleine Spitze hatte er sich nicht verkneifen können ob der Fettleibigkeit des Kappadozianers und seinem äußerst kränklichen Gesicht. Der Tisch war bereits gedeckt worden - zweifellos von Vater Ercole selbst - mit einigen kleinen Brotlaiben, hartem Käse, einigen Trauben und Äpfel und eine Amphore mit verdünntem Wein. Beschienen wurde die Szenerie von dem unsteten Licht einer billigen Talgkerze, die Ercoles Leben in all seiner Schlichtheit ausleuchtete.
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Post by Benedetto on Sept 8, 2014 8:09:13 GMT
Der fette Mönch wackelte in die Zelle, das Pergament unter dem Arm. Er nickte anerkennend, dann ließ er sich schwer auf einen der Stühle fallen, der unter dem Gewicht knarzte. Er wartete, bis auch der Prior Platz genommen hatte. Danach faltete er die Hände und schloss die Augen. Leise, aber laut genug, dass der Prior es hören konnte, sprach er ein Tischgebet, bat den Herrn um die Segnung des Mahls. Das Gesicht des Dicken war ruhig, die Augen geschlossen, die Züge andächtig. Seine Stimme war fest. Und als das "Amen" verklungen war, blieb er noch einen Moment so sitzen. Dann seufzte er, als sei etwas Wertvolles für einen Moment dagewesen - und nun unrettbar verloren.
Er wartete, bis Prior Ercole mit dem Mahl begonnen hatte. Dann griff auch er zu. Doch seiner Leibesfülle zum Trotz nahm der dicke Mönch nur sehr wenig zu sich, ein Stück Brot mit Käse und einen Apfel. Den Wein rührte er nicht an. Auf fragende Blicke erwiderte er nur: "Ich trinke nie... Wein." Ein entschuldigendes Lächeln. "Also, nicht mehr. Es gab eine Zeit. Aber die ist lange her. Ich trage heute noch daran." Er klopfte sich auf den dicken Bauch.
Dann schwieg er wieder, bis das Mahl beendet war. Schließlich faltete er noch einmal kurz die Hände, schickte offenbar einen kurzen Abschlussdank gen Himmel und wandte sich dann dem Prior zu. "Vater Ercole. Erlaubt mir, ein Versäumnis nachzuholen und euch für die Aufnahme in euer Kloster zu danken." Er lächelte erneut, ein Halbmond in dem vollmondförmigen Gesicht. "Ich bin ja kein Narr, ich sehe, dass es euch nicht einfach gefallen ist, mir Sonderrechte zu gewähren. Es gefiel mir ebenso wenig wie euch, mich dabei auf die hohen Herren zu berufen, aber ich will euch die Gründe dafür nennen."
"Erstens: Ich war in einem Auftrag des Erzbischofs hier. Ich musste in Eile eine Nachricht überbringen und wusste nicht, wie schwierig es sein würde, den Empfänger zu finden. Die Nachricht ist nun überbracht und mein Auftrag damit - zunächst - beendet. Zweitens: Ich kann nicht am Tagesablauf der Mönche teilnehmen, weil ich..." er verstummte und blickte auf seine Wurstfinger. Verschämt. "...Buße tue. Buße, für ein Leben der Ausschweifung. Derjenige, der mich auf den rechten Pfad führte, erlegte sie mir auf. Ich darf nicht am Tage unter das Antlitz des Herren treten, sondern muss sein Werk dann verrichten, wenn es der Natur des Menschen widerstrebt. Zur Nacht."
Die milchigen Augen blickten Ercole an. "Ich habe viele Sünden begangen, Vater. Mein Körper trägt die Spuren davon und selbst meine Kenntnisse der Medizin helfen nur wenig dagegen. Ich versuche stets, diese Kenntnisse zu verbessern, nicht um meinetwillen, sondern vor allem um den Willen anderer. Als Teil der Sühne. Und ansonsten verbringe ich meine Zeit damit, im Namen des Herren Kunstwerke zu schaffen." Er rollte zögerlich das Pergament aus. "Es hilft, um sich von anderen Gedanken abzulenken. Sündigen Gedanken." Die Farben schimmerten im Kerzenlicht.
Er ließ Ercole das Pergament studieren. Dann legte er die Hände aufeinander. "Prior Ercole, ich habe nun mehr Zeit, bis mich erneut die Nachricht meines Herren erreicht. Darum bitte ich euch, mir die Teilname an Komplet und Vigil zu genehmigen. Auch will ich gern meine Fähigkeiten in den Dienst des Klosters stellen, solange es meiner Buße nicht widerstrebt." Es sah aus, als wolle er mehr sagen, doch er verstummte. Blickte den Prior abwartend an.
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Post by Il Narratore on Sept 8, 2014 12:47:22 GMT
Der Prior hatte sich beim Essen nicht so sehr zurückgehalten, wie Benedetto, allerdings bedeutete Ausschweifung bei diesem kargen Mahl immer noch eine rechte Mäßigung. Er nutzte das Schweigen des Bruders aus, um ihm die wohligen Qualitäten des Weines auseinanderzusetzen, die natürlich in keinem Widerspruch zu seiner berauschenden Wirkung oder den Regeln der Mäßigung standen - hatte denn nicht der Herr selbst Wasser in Wein verwandelt?
Vater Ercole sandte ebenfalls ein Dankgebet gen Himmel, wenn auch ein kürzeres, nachdem das Abendessen beendet war. Er lnickte mürrisch, als Benedetto seine Gründe auseinandersetzte. Es waren vernünftige Vorschläge, die der Bruder da machte. Das heißt, wenn man seine eigenwillige Buße akzeptierte. "Bitte, Bruder, verschont mich mit den Heimlichkeiten und den Ränken der Oberen. Die Regeln eures Namenspatrons sollten dazu dienen, die heilige Mutter Kirche wieder auf das wesentliche zu richten: Gott und seine Gaben. Ich will auch nicht wissen, welche Sünden ihr begangen habt, solange ihr mit jeder Faser eures Seins nach Besserung strebt", sagte er und klang dabei unendlich müde. Mit einer Handbewegung wischte er einige Brotkrumen vom Tisch und fuhr fort: "Ich begrüße allerdings eure Wünsche und respektiere sie. Wenn ihr an den Nachtgebeten teilnehmen wollt, werde ich euch dabei nicht im Wege stehen. Allerdings werdet ihr euch selbst zu den angebrachten Stunden in die Kapelle begeben müssen, die Brüder sind mit genug damit beschäftigt, das Dormitorium zu wecken und die Messe vorzubereiten, als dass ich einen nach euch schicken könnte."
Erst dann nahm er das Pergament, um es in Augenschein zu nehmen. Mühsam kniff er die Augen zusammen und lehnte sich nahe an die Kerze, um in der Dunkelheit der anbrechenden Nacht wenigstens Grobheiten ausmachen zu können. Seine Miene wandelte sich schnell von Ablehnung zu so etwas wie Respekt, wenigstens Anerkennung für einen guten Handwerker und Schreiber. Als er das Pergament aus den Händen gleiten ließ, deutete sich zum ersten Mal ein Lächeln auf seinen alten Zügen an. "Ihr besitzt eine ruhige Hand und ein gutes Auge, wenn ihr bei Nacht Zeichnungen dieser Art anfertigen könnt." Der Prior betrachtete nachdenklich seinen vermeintlich Dienstjüngeren und überlegte wohl, wozu sich der dicke Mönch eignen könnte. "Wie stellt ihr euch denn vor, eure Fähigkeiten zum Wohle des Klosters einzusetzen?", fragte er schließlich schlicht und überließ es Benedetto selbst, sich einzuschätzen.
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Post by Benedetto on Sept 8, 2014 13:08:10 GMT
Benedetto lächelte erfreut. "Nun, zum einen kann ich dem Kloster bei der Bewahrung des Wissens helfen, indem ich Bücher und Texte kopiere und verziere. Ich muss gestehen, dass in dieser Arbeit meine Leidenschaft liegt. Doch nützlich kann dem Kloster wohl auch mein Wissen über die Medizin sein. Seht ihr, ich befürworte eure Einstellung, die Pforte bei Tag und bei Nacht den Bittstellern offenzuhalten. Mit nur einigen wenigen Dingen - einem Tisch, einer Waschschüssel vielleicht - könnte ich mir eine kleine Krankenstube in dem Raum neben meiner Zelle einrichten."
Er faltete die Hände. "Ihr wisst ja, dass meine Studien genau diesem Zwecke dienen. Der Erforschung des menschlichen Leibes. So könnte ich mein Studium neben theoretischer Kontemplation auch praktisch fortführen." Die Zunge fuhr über die dicklichen Lippen. "Natürlich will ich nicht, dass ihr nur mein Wort dafür nehmt. Ich bin gern bereit, meine Kenntnisse zu demonstrieren, wenn ihr wünscht. Denn während ich auch viel über die Behandlung von Leiden weiß, wenn sie bereits ausgebrochen sind, so weiß ich auch einiges darüber, wie man sie erst vermeidet."
Der wulstige Zeigefinger deutete auf das Essen, den Wein. "Ein karges Mahl, etwas Wein dazu ist zum Beispiel schon eine sehr gute Grundlage für ein leidensfreies Leben. Askese, wie sie einst der Herr selbst in der Wüste für uns vorlebte." Er blickte an sich herunter, kniff sich in den dicken Bauch. "Und höchst schädlich, wenn man sie vernachlässigt. Aber auch ein solches Mahl kann nicht allen Leiden vorbeugen. Den Rückenleiden zum Beispiel..."
Sein Blick fixierte den Prior, suchte nach einem Anzeichen, einem kurzen Erinnern an Schmerz. "...oder dem Leiden in den Knochen allgemein. Den Schmerzen in den Muskeln, oder im Kopfe. Oder dem Zahnweh, dem Ausschlag. Es gibt so vieles, was die Säfte aus dem Gleichgewicht bringen kann. Aber, dem Herrn sei Dank, gibt es auch viele Pflanzen und Kräuter, die dagegen helfen."
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Post by Il Narratore on Sept 8, 2014 13:51:28 GMT
"Bruder Vincento hat sich immer sehr für Kräuter und die heilsamen Kräfte ihrer Tinkturen interessiert. Sprecht einmal mit ihm, dann werden wir sehen, ob eure Kenntnisse in Medizin so gut wie eure Zeichenkunst sind", sagte Ercole und klang doch noch etwas skeptisch.
"Ihr werdet natürlich verstehen, dass wir nicht jeden Bittsteller hier aufnehmen können - ein Kloster ist ein Ort der Abgeschiedenheit und Ruhe, nicht der Versammlung und der Tratscherei. Auch bezweifle ich, dass sich des Nachts viel Volk vor die Tür wagen wir wird. Wenn es aber euer Wunsch ist - und ich achte die Milde den einfachen Menschen gegenüber - so solltet ihr im Burgus auf der anderen Seite des Baches euer Wissen anbieten. Es geschehen oft Unfälle bei der Ernte oder der Arbeit, Frauen in der Niederkunft beklagen sich über ihr Gottesgeschenk und eine Unzahl an abergläubischen Hausmittelchen macht seine Runde ausserhalb der Stadtmauern. Einige kommen zu uns, aber meist wenn es bereits zu spät ist und die Knochen falsch zusammenwachsen, wenn das Blut schal wird in ihren Leibern und das Kind bereits falsch herum aus dem Schoß kroch." So, wie Vater Ercole diese traurigen Fakten aufzählte, hätte man ihm jedes Mitgefühl absprechen können. Es war unklar, ob er sich nie für die Leiden des "einfachen Volkes" interessiert oder ob er einfach abgestumpft war mit den Jahren und dem Elend der letzten Plünderungen. Vielleicht hatte er einfach einen blutigen Stumpf, eine weinende Mutter zu viel gesehen.
Der Prior erhob sich von seinem Schemel und geleitete Benedetto zur Tür. Als er die Hand auf den Knauf legte, verzog er das Gesicht. Die linke Hand wanderte zum Kreuz auf seiner Brust. Aber erst, nachdem er einen Moment lang die Handfläche auf eine Stelle etwas unterhalb des Kreuzes, unterhalb der Rippen, gedrückt hatte. Er lächelte und sah fast entschuldigend zu Benedetto, ehe er ihn verabschiedet. "Gott gibt jedem sein eigenes Kreuz zu tragen."
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Post by Benedetto on Sept 8, 2014 14:50:16 GMT
"Gott sei mit euch, Prior." Benedetto nickte Ercole noch einmal zu, wobei seine Kinne wabbelten, dann schritt er langsam und nachdenklich zu seiner Zelle zurück. Dort angekommen, öffnete er eine alte, kleine Ledertasche. Im Kerzenschein glitzerte Metall. Er nahm ein kleines Messer heraus und hielt es prüfend vor sein Auge. Dann legte er es zurück und griff zu einem kleinen Haken. Um ihn herum war die Stille des Todes.
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Bei der Vigil fand sich der dicke Mönch zum ersten Mal unter den Mitbrüdern ein. Obgleich sie von Arturo das eine oder andere gehört haben mochten, weckte das leibhaftige Erscheinen der massiven Gestalt doch Interesse und mehr als ein Kopf wandte sich während des Gebets in seine Richtung. Doch Benedetto hatte die Augen geschlossen und erwiderte keinen der Blicke, ganz in sein Gebet versunken. Die Hände hielt er vor dem Bauch gefaltet und seine Stirn war ohne Spur einer Falte. Er wirkte entrückt.
Nach dem Gebet, als die Mönche sich erneut aufmachten, beobachtete Benedetto sie hingegen ganz genau. Und am nächsten Abend fand er sich bei einem der Brüder ein, dem besagten Vincento. Er grüßte freundlich und lächelte ein kleines, dünnes Lächeln. "Werter Bruder, der Prior bat mich, bei euch vorstellig zu werden, auf dass ihr meine Kenntnisse der Medizin bewertet. Ich mag nicht euer Wissen darin besitzen, doch hoffe ich, dass ich seinen Erwartungen gerecht werden kann."
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Post by Il Narratore on Sept 8, 2014 15:54:25 GMT
Bruder Vincento seufzte deutlich vernehmbar, als Benedetto ihn ansprach und brachte ein Nicken hervor, das seine Jugend Lügen strafte. "Ja, mein Sohn", schien er zu sagen, "der allwissende Vincento wird dichj schon noch die Geheimnisse der göttlichen Kräuter lehren, wenn du hübsch brav bist." Auch warf er einen Blick zur Seite, wo einige andere der Brüder leise tuschelten. Ganz offensichtlich war der neue Bruder, der seltsam bleiche, schwerfällige und im übrigen sich sehr seltsam benehmende Bruder das Thema überhaupt. Nur spottete oder rätselte man noch über ihn?
Laut beschwerte sich Vincento aber lediglich über die späte Stunde der Bitte. Doch Ercole hatte auch ihn angewiesen und so führte er den Kappadozianer schließlich doch in den Kräutergarten, nicht ohne gut hörbar für die anderen über die späte Nachtwanderung zu spotten. Er selbst hielt eine Fackel in der rechten Hand, die er über die sorgfältig angelegten Beete hielt, um so im Schein des Feuers die Wahrheit zu offenbaren. Er fragte den Mönch ausführlich über den Sud dieser Pflanze, die zerstoßenen und zerrieben Blätter jener und die Wirkung der Wurzeln aus, mit welchen Salben jenes und dieses Leiden behandelt und warum diese kleine blaue hier auf keinen Fall in hoher Konzentration genommen werden sollte. Als er bemerkte, dass der Bruder sich nicht so leicht aus der Fassung bringen ließ und die meisten seiner Fragen richtig beantwortete, stellte er falsche Fragen, legte Schlingen für die Unvorsichtigen aus und versuchte mit allen Mitteln, sich als der überlegene Am Ende der Rundführung war seine Stimmung am Boden zerstört und er musste missmutig eingestehen, dass der neue Bruder sich gut genug mit der Medizin auskannte, um regelmäßig die Kranken zu heilen. Nicht, dass er ihm das ins Gesicht gesagt hätte. Tatsächlich beschränkte er sich auf ein verstimmtes, aber väterliches Nicken und einen aufmunternden Klopfer auf den Rücken. "Warum willst du eine Krankenstube einrichten?", fragte er und sah den bleichen, aufgedunsenen Mann misstrauisch an. "Du bist doch selbst nicht der Gesündeste. Wie soll dir da einer vertrauen, die Krankheit aus ihm auszutreiben?"
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Post by Benedetto on Sept 8, 2014 17:24:14 GMT
"Gerade weil ich die Schwächen des Fleisches kenne, guter Bruder. Gerade darum." Benedetto verschränkte die Hände vor dem Bauch. "Bevor mich eine gute Seele auf den Weg zu Gott führte, plagten mich viele Leiden, die ich großteils selbst durch meinen Lebenswandel verschuldet hatte. Viele davon konnte ich durch mein Studium der Medizin bereits überwinden. Und die Mittel, die ich dazu verwendete, habe ich auch an anderen immer wieder erprobt. Mit Erfolg."
Dann schloss er die Augen. "Allzu oft aber kommt jede Hilfe zu spät und Gott nimmt den Kranken zu sich. Daher habe ich mich vor allem der Vorbeugung verschrieben. Seht ihr, Gott hat uns nicht nur Wege gegeben, um die Krankheit auszutreiben, wenn sie einmal da ist. Er kennt auch Wege, sie gar nicht erst entstehen zu lassen." Benedetto faltete die Hände. "Ich sehe es als meine Pflicht, die Menschen entsprechend anzuweisen. Und für eine frühzeitige Diagnose ist eine ausgestattene Krankenstube sehr nützlich - ebenso wie für den Fall, dass die Krankheit schon eingetreten ist."
Dann legte er den dicken Kopf schief. "Wenn ihr mögt, so freue ich mich darauf, gemeinsam mit euch einmal am praktischen Beispiel die Vorbeugung zu diskutieren."
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Post by Il Narratore on Sept 9, 2014 8:49:46 GMT
Vincento schüttelte darauf heftig den Kopf. "Es gibt Leiden, die wollen gar nicht verhindert werden. Manche Krankheit ist ein Geschenk Gottes. Sieh zum Beispiel Vater Ercole. Er verträgt keine fettigen oder gepfefferten Speisen, selbst der dünnste Wein schlägt ihm manches Mal auf die Gesundheit. All jene Dinge, von denen ein asketischer Geist sich ohnehin abwenden sollte, verträgt er überhaupt nicht. Somit ist es überhaupt nicht in seinem Interesse von diesem Leiden geheilt zu werden, obwohl es ihm wohl Drücken und Schmerzen im Magen verursacht." Der ältere Mönch winkte ab und führte Benedetto wieder zum Dormitorium, wo er die Fackel in einem Fass mit Sand löschte. "Nicht, dass dieses Leiden sich überhaupt heilen ließe. Wir müssen wohl akzeptieren, wenn Gott uns Buße auferlegt", sagte er und blickte an dem Bruder herunter, schief lächelnd. "Ich werde Ihm jedenfalls ausrichten, wie du dich geschlagen hast. Ab morgen kannst du mir mit den Tinkturen und Tränken helfen, es gibt einige, die nur bei bestimmten Phasen des Mondes angerührt werden dürfen."
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Post by Benedetto on Sept 9, 2014 9:56:24 GMT
Der dicke Mönch nickte zu letzterem Punkt, schüttelte aber den Kopf zu dem Argument über Vater Ercole. "Nein, Bruder... ich glaube nicht, dass dies Gottes Wille ist. Schmerzen sind das Werk des Bösen und der Ungleichheit und eben darum müssen sie bekämpft werden, mit geistiger und auch mit medizinischer Hilfe. Gebete und Kräuter." Er rieb sich das dicke Kinn. "Ebenso scheint es mir, dass Gott dem Menschen den freien Willen nicht gegeben hat, um ihn dann mit Schmerz auf den rechten Pfad zu führen. Wo ist die Prüfung dabei?"
Rasch schüttelte er den Kopf, dass die Doppelkinne wackelten. "Aber genug davon. Ich freue mich bereits, von euch zu lernen."
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In den nächsten Nächten half Benedetto so gut es ging bei der Herstellung der Mixturen aus. Versuchte, dabei zu lernen, was er konnte. Und wenn er merkte, dass Bruder Vincento ihn absichtlich zurückhielt, nun, auch dafür würde es noch eine Lösung geben. Der kräuterbewanderte Mönch mochte ein guter Blutsdiener werden. Doch vorerst konzentrierte sich Benedetto auf den Abt.
Bei diesem wurde er erneut vorstellig. Er sprach von seiner Arbeit im Kräutergarten, die ihm Freude bereitete, und legte ihm dann erneut eine Illustration vor. Es waren mehrere Dreierpaare von Menschen darauf zu sehen. Daneben fand sich eine Abschrift der Aristotelischen Tugendethik, genauer gesagt, die Stelle, die sich mit den Mitten oder Mesotes befasste.
"In der Tat, werter Prior. Und hier habe ich die Mitte der Tapferkeit illustriert. Seht ihr, dies ist der feige Mensch, kauernd in der Ecke. Und dies ist der Tollkühne, der in seiner Raserei die Vorsicht völlig vergisst. Von Gott gesegnet ist aber die Mitte, die der gute Mensch über die Anwendung seiner Klugheit gefunden hat. So unterdrückt er die Affekte, die ihm seine sündige Natur vorgibt und findet das rechte Maß. Darum habe ich den Tapferen im Lichte Gottes illustriert."
Er ließ dem Prior kurz Zeit, das Bild zu begutachten, dann fuhr er fort. "Hier wiederum ist die Illustration der Mäßigkeit. Der tugendhafte Mensch handelt auch hier nicht aus den Affekten. Seht ihr, die meisten Menschen werden zum Affekt der Völlerei gedrängt, weswegen diese auch mit der Mäßigkeit im Gegensatz steht. Ihre niedere Lust ist die primitive Befriedigung des Essvermögens..." seine Stimme versagte, als er an sich herunterblickte. Er schluckte. Riss sich zusammen. "wes... weswegen ich den Gefräßigen als dick und aufgequollen dargestellt habe."
Kurz schloss er die Augen. Dann wurde seine Stimme ruhiger. "Ihm gegenüber steht derjenige, der sich unnötigerweise den Gaben Gottes verweigert. Derjenige, der zu sehr verzichtet und daher hier totengleich ist." Die Figur trug die Züge seines Erschaffers, aber das musste der Prior nicht wissen. "Hier in der Mitte hingegen, da findet sich derjenige, der Maß hält. Er verhält sich tugendhaft, isst gerade genug. Er isst maßvoll, so wie ihr... nun ja, fast so wie ihr." Der dicke Mönch rieb sich das Kinn.
"Seht ihr, nach Aristoteles ist euer Maßhalten zwar wünschenswert, aber nicht tugendhaft. Nicht gottgewollt, wenn ihr versteht?"
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Post by Il Narratore on Sept 9, 2014 16:01:45 GMT
Der Prior zeigte sich erfreut über die Arbeit im Garten und die nun regelmäßigere Teilnahme an den Nachtgebeten, auch wenn sie durchaus zu Tuscheleien unter den Mönchen führten. Ganz offensichtlich war er aber nicht der Mann, der viel auf solches Getratsche gab, denn er ermunterte Benedetto lediglich, sich "davon nicht unterkriegen" zu lassen. Die Abschrift dagegen hatte er mit einem mürrischeren Gesichtsausdruck zur Kenntnis genommen, als zu erwarten gewesen wäre. Er rollte das Pergament ohne große Hingabe zusammen und empfahl dem Kappadozianer es "für Andere zur Ansicht" in die Kapelle zu bringen. Man wisse seine Empfehlung natürlich zu schätzen, aber es handle sich hierbei keinesweigs um einen freiwillige, unmäßigen Verzicht sondern vielmehr eine von Gott auferlegte Verweigerung. Er müsse den Unterschied zwischen nicht nehmen und nicht bekommen lernen. Ohnehin wäre eine solch körperliche Disposition kaum heilbar, er hätte in seiner Jugend allerlei Mittelchen ausprobiert, die keine Wirkung gezeigt und ihn schließlich zur Aussöhnung mit der nötigen Diät getrieben hätten.
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Post by Benedetto on Sept 9, 2014 16:36:39 GMT
"Mh..." Der dicke Mönch dachte nach. "Ich hatte dereinst einen ähnlichen Fall. Unstimmigkeiten im Magenbereich, von Jugend an. Nachdem ich den Patienten eingehend untersucht habe, kam ich zu der Ansicht, dass es eine Unterversorgung durch Blut war, während die anderen Säfte im Übermaß vorhanden waren. Meine These wurde dadurch bestätigt, dass das Ungleichgewicht seit der Jugend existierte, also dem Zeitraum, da sich die anderen Säfte entwickeln."
Benedetto blickte auf den Boden und runzelte die Stirn. "Zunächst habe ich Kräutertrunke probiert, welche die Produktion der anderen Säfte eindämmen sollten. Aber die Ergebnisse waren nur temporär. Dann versuchte ich es auf eine andere Weise. Während die Kräutertrunke aus dem Kalten und Feuchten stammen, denn Wasser ist in der Natur kalt und feucht, musste die Basis etwas sein, das in der Natur warm und feucht ist, was dem Saft des Blutes zugutekommt."
Sein Blick fixierte den Abt. "Und dann... hatte ich es." Er schnipste mit den dicken Fingern, oder besser gesagt, er versuchte es. "Es war einfach. Warm und feucht wie es der Saft des Blutes verlangt, ist das Blut. Hat nicht auch der Herr Jesus schon seinen Jüngern eben jenes Blut gegeben und wird nicht heute in der Messe auch sein Blut gereicht? Die Basis für meine Mixtur musste Blut sein, nicht zuviel natürlich, um das Gleichgewicht nicht wieder in die andere Richtung zu drängen."
"Ich nutzte also erneut die heilenden Kräuter, eine spezielle Mischung meinerseits, aber dennoch nichts Ausgefallenes und vermengte sie mit etwas Schweineblut, das ich dem Patienten zu trinken gab. Und siehe da, die Leiden verschwanden nach einigen Tagen der Anwendung. Ich ließ ihm das Rezept, aber als ich ein halbes Jahr später vorbei ging, hatte sich sein Schmerz noch nicht zurückgemeldet. Ich... muss allerdings gestehen, dass er etwas zugenommen hatte. Nun, aber er hatte natürlich auch nicht die Disziplin, die unser Leben lehrt."
Benedetto zuckte mit den Schultern. "Ich habe das Rezept noch ungefähr im Kopf. Wenn ihr mögt, kann ich es euch zubereiten. Wenn euer Leiden dann nach einigen Tagen nicht gebessert ist, wissen wir zumindest, dass es sich nicht um die selbe Krankheit handelt."
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Manipulation & Ausflüchte: g|RcP5P_6d10 6d10
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Post by Il Narratore on Sept 10, 2014 18:00:49 GMT
"Nun, nun", gab Prior Ercole zu, "Es stimmt wohl - das Sanguine ist dem feucht-warmen Element der Luft zugeordnet." Der Prior hatte nachdenklich die Hände vor der Brust gefaltet, direkt über dem Kreuz des Herrn, das dort lag. "Ein verlockender Gedanke, Bruder Benedetto, das gestehe ich. Ich leide seit einer ganzen Weile schon an diesem Ungleichgewicht der Säfte. Seit Jahren glaubte ich, mich damit abgefunden und akzeptiert zu haben, dass Gott mich ganz einfach an gebotene Mäßigung erinnern wollte. Es ist fast zu süß, um wahr zu sein, wenn ihr nun mit einem Heilmittel erscheint. Ich wage nicht, auf seine Wirksamkeit zu hoffen. Ganz zu schweigen von den unangenehmen Implikationen, die ihr da anstellt über das Blut des Herrn." Leidend schüttelte der alte Mann das Haupt, machte eine wegwerfende Handbewegung und schickte Benedetto einen tadelnden Blick. "Dennoch - Vincentos eher ausweichende Antworten lassen darauf schließen, dass ihr euer Fach versteht mit der Medizin und den Tinkturen." Vater Ercole lächelte gutmütig, so als bat er an der Stelle seines Schützlings bei dem fetten Kappadozianer um Nachsicht. "Also gut. Rührt euer Mittelchen an, Benedetto, wenn es euch Frieden bringt. Doch nur unter einer Bedingung werde ich dieses Gebräu trinken: Wenn es nicht wirkt, werdet ihr mich nie wieder damit belästigen. Geht und heilt jene, deren Krankheiten sie tatsächlich behindern."
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Post by Benedetto on Sept 10, 2014 22:09:21 GMT
"Letztendlich liegt es ohnehin in Gottes Hand, werter Prior." Der dicke Mönch nickte dem Leiter des Klosters zu und verließ dessen Zimmer. Er erbat sich nach der Komplet von Bruder Vincento einige Kräuter, die seiner Erfahrung nach tatsächlich gegen chronische Magenleiden wirkten. Dem Prior zu helfen war schließlich christliche Nächstenliebe - und obgleich der fette Mönch so seine eigenen Vorstellungen hatte, was ethisches Verhalten betraf, war eine positive Tat sicherlich gut für sein himmlisches Kontor.
Die Kräuter mischte er zusammen, trocknete und zerrieb sie. Dann mischte er sie unter Blut, dass er aus seinem Arm ließ. Er wusste von den Lehren seines Erzeugers, dass eine Zugabe weiterer Flüssigkeiten das Risiko barg, die Vitae zu sehr zu verdünnen und unwirksam zu machen. Aber der Prior rechnete ja mit dem Geschmack von Blut. Benedetto vermutete zudem, dass nur die ersten Schlucke auf Abneigung stoßen würden. Bald würde es leichter sein, dem alten Mann sein Blut zu geben. Und irgendwann würde er danach verlangen. Danach gieren.
Es war nicht gerade freundlich, den armen Asketen derart zu versuchen. Aber andererseits lag darin vielleicht eine wichtige Erkenntnis. Wie würde der Prior damit umgehen? Würde sein Geist stark genug sein - oder würde die Lust des Fleisches siegen? So oder so, Benedettos Einfluss im Kloster würde wachsen. Der fette Gottesdiener lächelte verschmitzt.
Dann brachte er Ercole den ersten Becher der Medizin.
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