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Post by Il Narratore on Sept 20, 2014 8:41:56 GMT
"Respekt?", verlangte die brodelnde Dunkelheit zu wissen, "Wer bist du, dass ich deinen Respekt nötig habe?! Ich habe deinen Spott gelesen. Verschwinde! Deine Herrin wird mir nicht das wenige noch stehlen, was sie mir gelassen hat." Jetzt, wo er ihr länger zuhören konnte und der erste Schock verklungen war, klang diese Stimme erstaunlich menschlich. Sicher, Zorn und Wut und die Atmosphäre all der Leichen und Gräber hier färbten sie etwas, verzerrten sie. Aber es war zweifellos die Stimme eines Mannes, klar und kräftig, wenn auch vielleicht etwas kratzbürstig.
Die Katze erhob sich, eine einzige, geschmeidige Bewegung in der sie sich auf ihre Beine stellte, den üblichen Buckel machte und zum Sprung bereit machte. Das Vieh war groß! Unglaublich groß für eine Katze, es hatte fast die Größe eines Hundes. Natürlich war es nicht das Tier, das da sprach. Tiere konnten nicht sprechen. Nicht einmal so hinterhältige wie diese. Aber sie sah und ihre in der Finsternis leuchtenden Augen wichen nicht vom Anblick des Kappadozianers ab. Sie richteten über den Mönch, sie verspotteten ihn. Nicht nur hatte dieses Mistvieh keine Angst vor ihm, dessen Blut allein schon jedes gesunde Tier aus seiner Nähe vertrieb, es hatte nicht einmal Angst vor diesem Ding in den Schatten. Wahrscheinlich genau das Gegenteil und es fühlte sich gerade so geborgen wie selten.
"Ich zerreiße dich, zerfetze dich und schicke dich zurück zu ihr!", zischte es aus der Nacht. Benedetto konnte nicht so sehr sehen, als viel mehr fühlen, was um ihn herum geschah. Das Gepiekse und Gequetsche seines Fettes stoppte, aber dieses ungute, vage Gefühl der Hand auf seiner Schulter verschlimmerte sich. Als striche ihm jemand über das Rückgrat, als ginge jemand über sein Grab, lief ein Schauer über seinen Rücken, flüsterten seine Sinne ihm zu, dass sie bis jetzt etwas vergessen hatten. Augenpaare - dutzende, hunderte - waren auf ihn gerichtet.
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Post by Benedetto on Sept 20, 2014 8:59:04 GMT
Der Mönch ließ den Stab aus den zitternden Händen fallen, streckte die Handflächen nach außen. "Ich wurde nicht geschickt", stieß er hervor. "Ich bin erst seit kurzem hier in der Stadt. B-b-benedetto bin ich, vom Clan des Todes, Kind des Angelo di Sorrento. Aus Mailand!" Er widerstand der Versuchung, panisch umherzublicken, hielt seine Augen so gut es ging auf die große Katze vor ihm gerichtet. "Ich kenne keine Her..."
Mitten im Satz brach er ab, schloss die Augen. Öffnete sie langsam wieder. Noch lebte er, aber wenn er richtig geschlussfolgert hatte, waren seine nächsten Worte überlebenswichtig. "Ich habe natürlich, natürlich, wie es die Traditionen verlangen, mich der Prin... derjenigen, die Anspruch auf diese Stadt erhebt, vorgestellt." Er sprach langsam, deutlich, auch wenn die Stimme noch zittrig war. "Ich wusste von keinem Streit. Mein Wunsch nach einem Treffen war echt. Geleitet von Neugier, ja. Aber echt."
Er leckte sich die Lippen. Ein dünner Blutfilm benetzte die Haut. "Ich b-b-bitte euch, erweist mir die Ehre, mir euren Namen zu nennen oder lasst mich gehen..."
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Post by Il Narratore on Sept 20, 2014 9:55:09 GMT
"Mailand, ja? Verräter, Hunde, Huren der beschissenen Franken", geiferte die Nacht. Wenn Benedettos Geschichte ihn nicht trog, so war tatsächlich Mailand und das halbe Reich der barbarischen Langobarden auf Betreiben des Papstes und des Erzbischofs von Mailand an die Franken gefallen. Vor einhundertundfünfzig Jahren.
Die Katze, die eben noch zum Sprung angesetzt hatte, verharrte stumm. Der Kappadozianer konnte die anderen Mistviecher nicht sehen, aber spüren, er wusste noch, dass sie da sein mussten - er hörte sie, hörte wie sie ihre Mäuler geifernd öffneten. Katzenspeichel tropfte auf die trockene Erde. Sie rochen Blut. Wahrscheinlich nicht so dick, nicht so reichhaltig und wohltuend wie das ihres Herren...aber Vitae war Vitae.
"Angst ist gut. Angst...lässt dich weise werden und vorsichtig", kommentierte die Dunkelheit. "Aber sie ist ohne Richtung, ohne Ziel. ich gebe ihr ein Ziel, ich gebe ihr eine Richtung." Einen Moment ließ das Ding die Worte in der Luft klingen, ließ den klugen Geist Benedettos erst alle möglichen und unmöglichen Bedeutungen und Nuancen herausfinden.
"Ich bin Godeoc", verkündetete die Stimme stolz, "aus dem Clan Nosferatu. Fürst meines Volkes, Graf in der Nacht und Herrscher über die Schatten! Ich bin Ancilla." Das letzte Wort spuckte er mit einer Verachtung in den Friedhofsstaub, die sich schwer beschreiben ließ. Es troff ihm aus dem Mund, sickerte durch die dicke Luft und kroch in die kalte Erde, um sich vor dem Nosferatu zu verstecken. Benedettos Lateinkenntnisse verrieten ihm den Grund für die Unzufriedenheit: Es gab eine Dissonanz, einen unüberbrückbaren Abgrund zwischen den vollmundigen, hochtrabenden Titeln jenes Kainkindes und seinem Status, dem Deminuitiv von Ancula, der sich am besten mit Mägdelein übersetzen ließ. Die Katzen fingen ein Geschrei und Gestöhne an bei diesem Wort, denn sie spürten wohl die kochenden Gefühle ihres Meisters.
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Post by Benedetto on Sept 20, 2014 10:08:30 GMT
Der dicke Mönch wusste die Gefühle wohl zu deuten, die den Ancilla umtrieben. Stocksteif stand der da, nur die wässrigen Äuglein schauten umher, versuchten, etwas zu sehen, etwas greifbares. Der Clan der Verborgenen war Benedetto nicht unbekannt - schließlich teilte dieser eine Vorliebe für Katakomben mit den Kappadozianern - und dank seiner Beschäftigung mit verwesenden Kadavern war auch der Anblick eines Nosferatu nicht gänzlich unerträglich für ihn.
Doch die Phantasie trieb ganz eigene Blüten und was auch immer Godeocs Gestalt war, im Kopf des Kappadozianers vereinigten sich die Schreckensbilder seiner Albträume mit den Illustrationen dämonischer Wesen aus den Predigten seiner Oberen. Seine Zähne klapperten leicht und daher sprach er rasch und hektisch: "Mailand, ja. Aber der Verrat, der war vor meiner Zeit." Er verneigte sich, respektvoll, so wie es einem gewertschätzten Oberen zustand, lächerlicher Titel oder nicht.
"Werter Graf, trotz der Umstände bin ich geehrt, eure Bekanntschaft zu machen." Benedetto schluckte schwer. "Ich habe eure Familie stets wertgeschätzt, denn wir haben viel gemeinsam. Die Lust am Wissen etwa." Dann wagte er einen Vorstoß in die schreckenerfüllte Dunkelheit: "Waren es nicht die tapferen Langobarden, die der Papst und der Erzbischof verrieten?"
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Post by Il Narratore on Sept 21, 2014 10:05:42 GMT
Die Stimme aus der Dunkelheit röhrte vor Lachen, das laut und haltlos tobte wie ein Sturm. Es fegte durch die Schar an Katzen, die das Fell aufstellten, und fegte ihre Geräusche hinfort. "Ja, ja, das taten sie und dann...dann kamen dieser Kerl mit seinen fränkischen Schweinen im Schlepptau." Klar und deutlich klang die Männerstimme nun, ohne den ungestümen Zorn von eben. Sie stand im krassen Gegensatz zu den Befürchtungen und den Schreckgespinsten des Benediktiners und ließ sich nun auch näher eingrenzen. Nicht länger dröhnte sich von überall und zischte unerwartet aus den Gräbern. Sie kam jetzt von nur einer Stelle, unweit der Stele inmitten der fünf Mausoleen der Urzeit. "Und du willst nichts mit denen zu tun haben, obwohl du die Kleidung ihrer Bettelpriester trägst", stellte die Stimme wieder fest, klang skeptisch. "Du musst sehr jung sein dann. Also? Du hast mich getroffen - wie steht es um deine Neugier?"
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Post by Benedetto on Sept 21, 2014 10:16:12 GMT
Benedetto stieß ein nervöses, keuchendes Lachen aus. "Befriedigt... schätze ich." Er blickte zu der Stelle, von der die Stimme kam. Kniff die wässrigen Augen zusammen. "Zumindest in der Frage, wen ich hier treffen konnte." Langsam beugte er sich nieder und hob seinen Stab auf, stützte sich schwer darauf. Dann blickte er auf die große Katze. Studierte das Tier nun mit Interesse, statt mit Furcht.
Als ihm bewusst wurde, dass die grünen Augen ihn weiterhin anstarrten, zuckte er zusammen. Noch war er nicht sicher - und noch hatte er nichts gewonnen. Er richtete seine Worte in Richtung der Stele. "Graf Godeoc, sagt mir, beansprucht ihr diesen Ort als eure Domäne?"
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Post by Il Narratore on Sept 21, 2014 11:24:14 GMT
Schweigen. Eine ganze Weile nur Schweigen und das raschelnde Fell unzähliger feliner Monster, die irgendwo außerhalb des Sichtkreises auf sich warten ließen. Immerhin war es kein eisiges Schweigen. Jedenfalls nicht so eisig, als ob Benedetto ihn sehr verletzt hätte mit seiner Frage. Mehr eine nachdenkliche Stille, wie beim ruhigen Gebet und in einer unruhig durchwachten Nacht. "Ich weiß nicht. Bin eine Weile keinem mehr begegnet, der nicht zu ihr gehört hat. War vorher alles meins. Es widert mich an, mich mit Stücken zufrieden zu geben." Bitternis schwang sich durch die Nacht auf schwarzen Schwingen, unfähig, Altes ziehen zu lassen und Neues zu akzeptieren.
"Ja", befand der Nosferatu schließlich. Seine Stimme zitterte vor Erregung, als er fortfuhr: "Ja, ich beanspruche den Friedhof des Priesters Siro und die Hafengassen um den Platz des Priesters Giorgio und die Kapelle der Maria am Bischofskastell und den Hain im Lucculus und den Platz der schwarzen Katzen als mein Eigentum. Kommt uneingeladen dorthin und ich werde euch vernich...euch ein oder zwei Glieder ausreißen." Die Katze auf der Stele hatte einiges von ihrer Anspannung verloren, bekam sie auch bei der freundlichen Drohung des Nosferatu nicht zurück. Nur die Blicke des Kappadozianers störten sie. Sie starrte zurück. Sie wandt sich und drehte den Kopf und sich selbst und sprang schließlich fauchend zurück in die Dunkelheit.
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Post by Benedetto on Sept 21, 2014 11:51:29 GMT
Der Kappadozianer hob die rechte Hand. "Im Gegenteil, werter Graf, im Gegenteil." Seine Stimme klang nun etwas ruhiger. "Ich hatte an ein Arrangement gedacht, das uns beiden dienlich sein könnte." Er faltete die Wurstfinger um den Stab. "Seht ihr, für meine Forschungen bin ich auf gewisse... Rohmaterialen angewiesen." Er zögerte kurz. "Ach, was soll das Drumherumgerede. Wir gehören beide zu Familien, die direkt und sachlich sind. Ich brauche Leichen. Zum Studium der Anatomie."
Die Zunge fuhr erneut über die Lippen. "Seht ihr, ich bin eine Art Heiler und Leichen verraten eben viel über Leben und vor allem auch - den Tod. Ich bin noch kein Meister darin, ihre Geschichten zu lesen, aber ich werde besser. Ich kann viel darüber herausfinden, was einer Leiche geschehen ist. Und ich kenne Wege, sie unauffällig verschwinden zu lassen. Die Vorteile eines... intensiven Studiums."
Er blickte sich um. "Ich wäre gern bereit, euch diese Fähigkeiten zur Verfügung zu stellen, wenn ihr mir im Gegenzug erlaubt, hin und wieder eine kleine Zahl der Leichen von diesem Ort zu entfernen." Rasch fügte er hinzu: "Natürlich würden es keine guten Christen sein, deren Gräber ich entweihe, nein. Ich würde mich bei den Gräbern der Gehenkten bedienen, am Rand der Nekropole. Vielleicht auch direkt den Totengräber an mich binden, so er nicht euer Diener ist."
Der fette Mönch schien sich noch immer nicht von der Stelle wagen zu wollen. Zumindest hatte er seine Stimme wiedergefunden. "Natürlich könnte ich auch einfach den Fahrer des Leichenkarrens... unter Kontrolle bringen. Aber ich muss sagen, dass mich dieser Friedhof zu sehr fasziniert. Ihr habt eine exzellente Wahl getroffen, als ihr dieses Gebiet gehalten habt! Inbegriffen in meinem Vorschlag wäre somit, dass ich mich auf diesem Teil eurer Domäne im Rahmen von euch gesetzter Grenzen frei bewegen darf." Er blickte in die Finsternis. "Wenn ihr zum Beispiel diese alten Gräber ungestört besuchen wollt, so wäre das ein Jammer..." Benedetto seufzte "...aber ich könnte es verstehen."
Dann nickte er. "Ja. Dies wäre euer Teil des Handels. Und im Gegenzug stelle ich euch meine Fähigkeiten zur Verfügung, für eine zu verhandelnde Zahl von Fällen, ob es nun die Untersuchung einer Leiche oder deren Beseitigung ist." Er hob einen Finger. "Mit der einen Einschränkung, dass ich nicht... direkt gegen die Interessen von Ahnin Aurore handeln kann." Eine Formulierung mit Spielraum. "So sehr mich euer Streit auch dauert, möchte ich nicht zwischen die Fronten geraten."
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Post by Il Narratore on Sept 21, 2014 13:14:01 GMT
Die Nacht hatte dem Kappadozianer zugehört, ohne ihn zu unterbrechen. Tatsächlich war es, als würde der Nosferatu ganz aufmerksam dem Vorschlag des Jüngeren lauschen. Erst als dieser geendet hatte, herrschte er ihn an: "Oh ja! Ja, komm doch einfach herein und bedien' dich und bring ein paar Freunde mit, wenn du schon dabei bist. Grab einfach nach Lust und Laune. Den Dreck musst du auch gar nicht weg machen. Lass' ihn ruhig liegen, die ganzen neugierigen Pfaffen werden ihn schon wegräumen, wenn sie auf meinem Land herumschnüffeln!" Godeocs Stimme wurde wieder ungehaltener. Sarkasmus biss darin und Widerstand gegen den Vorschlag des Kappadozianers war spürbar.
"Wenn du dich an den Leibern der Verstorbenen vergehen willst...bitte. Es gibt genug Streit und Zwietracht in den Ruinen der Stadt, dass es nicht an Kadavern fehlen wird. Meine eigene Regentschaft bringt einige davon mit sich und wenn ich es recht bedenke, so wäre es doch vernünftig, sie euch zu überlassen. Es müssen doch nicht Gehenkte sein, oder?"
"Es schert mich nicht, was mit diesen Christusjüngern geschieht", stellte die körperlose Stimme Godeocs nüchtern fest. "Es sind die Schwachen und Kranken, für die ich keinerlei Verwendung finde, die ich euch geben würde. Einer der meinigen würde sie zu euch bringen und ab da wären sie euer Problem."
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Post by Benedetto on Sept 21, 2014 13:33:30 GMT
Der Mönch schien zunächst enttäuscht, als der Nosferatu sich gegen die Nutzung der Leichen aussprach. Aber dann nickte er bei dessen nächsten Worten langsam. "Eine symbiotische Beziehung sozusagen. Ich erhalte eure Leichen, ihr müsst euch darum nicht kümmern, wir beide gewinnen. Ein interessanter Vorschlag." Er rieb sich das Kinn. "Das erscheint mir durchaus sinnvoll."
Erneut schielte er in die Dunkelheit, um den Sprecher zu erkennen, der dort solch verlockende Angebote machte. "Lasst ihn die Leichen einfach zum Kloster San Marcellino bringen." Er beschrieb den Weg zu der kleinen Pforte, die in der Nähe der Treppe zu den Katakomben lag. "Sie ist nachts nicht besetzt", fügte der Dicke hinzu. "Trotzdem wäre es gut, wenn euer Diener sich unauffällig verhält. Keiner von uns möchte schließlich... Aufsehen erregen."
Dann lächelte er verzagt. "Ich würde euch ja die Hand auf diesen Handel schütteln, aber..."
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Post by Il Narratore on Sept 21, 2014 15:12:23 GMT
"...ich würde sie euch brechen", beendete der Ancilla den Satz des Neugeborenen und wischte damit das Angebot des Handschlags beiseite. Scheinbar erwartete er, dass dem Kappadozianer ein Versprechen in der finstersten Nacht genug wäre. Ihm jedenfalls war es das wohl. "Ich erwarte, keines dieser Gesichter jemals wieder zu sehen und keine Fragen gestellt zu bekommen. Und ich erwarte, ab und an Einzelfälle loszuwerden."
Es war der körperlosen Stimme anzuhören, dass sie dies für ein wohliges Geschäft hielt, als sie sagte: "Schön, dann ist das beschlossen. Du darfst gehen, Mailänder. Aber vergiss nicht, dich von meinem Grund und Boden fernzuhalten." Als die Stimme verstummte und Benedetto sich umblickte, war alles so still und leer, wie zuvor. Niemand war zu sehen, niemand zu hören. Nur Grabesstille, all umher.
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Post by Benedetto on Sept 21, 2014 15:35:08 GMT
Bedauernd warf der fette Mönch noch einen letzten, ausführlichen Blick auf diesen Ort, diese uralten Gräber, die Stele in deren Mitte. Dann drehte er sich um und schritt über den Friedhof zurück, Richtung des Klosters. Auf halbem Weg übermannte ihn ein Schluchzen, rote Tränen liefen die fettigen Wangen herab, als die Anspannung von ihm abfiel. Er lebte noch! Das Monster hatte ihn verschont und er lebte noch! Es waren Tränen der Erleichterung.
Und gleichzeitig weinte Benedetto um die Schönheit der Nekropole, welche die närrischen Sterblichen nicht zu schätzen wussten und die ihm nun versperrt war durch das Gebot des Älteren. Als er die Zeitreise der Grabsteine in Richtung der Gegenwart unternahm, als die verwitterten Inschriften den römischen Buchstaben, die römischen Namen den neueren wichen, fühlte der Kappadozianer ein tiefes Gefühl des Verlustes.
Zurück in der Priorei wusch Benedetto sich die verräterischen roten Striemen am Brunnen in der Mitte des Klosterhofes aus dem Gesicht. Dann wartete er, bis die Vigil begann. Erst dort, im Gebet, fand sein Geist zurück zu der Ruhe, die er zuvor bei den Besuchen des Friedhofs erfahren hatte. Insbrünstig sprach er die biblischen Worte nach und sein Gesicht zeigte Entrückung.
Dann, nach der Vigil, nahm er Pater Ercole beiseite. Er habe durch seinen Aufenthalt bei den Katakomben bemerkt, dass einige jüngere Mönche diesen dunklen Ort als Versammlungsort nutzten. Nun habe er weder Gesichter noch Stimmen erkannt, doch schlage er vor, diese Versuchung von ihnen zu nehmen - mit einer schweren Tür, welche die Katakomben und Benedettos Räume vom Rest des Lagers trennte. So könnten auch die eventuellen Patienten noch mehr Ruhe finden, als die dicken, schalldichten Wände ohnehin schon boten.
Der dicke Mönch würde selbstverständlich die Verantwortung für die Pflege der Toten übernehmen. Das sei ihm als Heiler ja ohnehin nicht fremd.
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Post by Il Narratore on Sept 22, 2014 21:53:49 GMT
Prior Ercole zeigte sich gar nicht begeistert von der Vorstellung, dass die jungen Wilden sich in den Katakomben zu geheimen Absprachen trafen. Er äußerte Bedenken über diese Geheimniskrämerei, die einem Ort der offenen Gemeinschaft unangemessen war. Der Blutsklave schluckte Benedettos Lüge ohne zweimal darüber nachzudenken. Eine Woche später hatte Benedetto eine Tür direkt in dem Bogen, der die schmale Stiege hinab von den Gewölben des Klosters trennte und der bislang völlig frei zugänglich gewesen war. Sie war mindestens eine Handbreit dick und mit einem eisernen Schloss gesichert. Ercole hatte sich die Mauer gegen unerlaubte Versammlungen etwas kosten - das Holz kam aus dem Luccoli und war von Fachmännern ausgesucht worden - aber von den jüngeren Mönchen selbst zusammenschreinern lassen. Sollten sie ihren untugendhaften Aktivitäten doch selbst den Riegel vorschieben.
Er händigte Benedetto den Schlüssel aus mit der unbedingten Bitte, weiterhin ein Auge auf dieses schlimme Verhalten zu haben. Es gehe ja nicht an, dass ein ehrlicher Mann gestört werde, weil seine Brüder sich zu Tratsch und Klatsch herabließen.
Ganze drei weitere Wochen dauerte es, ehe Ende Oktober die erste Lieferung des Ancilla kam. Ein Karren ruckelte zu gotteslästerlichster Stunde vor die Pforte des Klosters. Es war ein einfaches Ding, bestand aus zwei Räder, einigen mehrere Schritt lange, aneinandergenagelte Bretter und ein Joch, in das ein Ochse eingespannt war. Die so gebildete Fläche war von einem schmutzigen Tuch bedeckt, dessen Grundfarbe mal weiß-gelblich gewesen sein musste, mittlerweile aber von braunen Flecken durchsetzt war. Der Mann auf dem Bock trug eine abgerissene, graue Kutte und ein ebenso graues Hemd. Schlamm klebte fingerdick an seinen Beinen, das schulterlange Haar fiel ihm fettig in die Augen. Er grinste breit, als er vom Karren hüpfte und an die Pforte hämmerte. Nachdem man ihm Benedetto geschickt hatte, zog er erst die Nase und dann das Tuch hoch. Die Ware, die Benedetto gefordert hatte. Leichen. Fünf gebrochene Augen starrten ihn vorwurfsvoll an. Aus den kälteren lief bereits der Saft und sie waren angelaufen. Der jüngste Körper war noch warm. Eine Frau höheren Alters war darunter, aufgerissen vom Pelvis bis zum Sternum, ein Mann mit soweit intaktem Körper aber einigen verräterischen Flecken in der Magengegend, ein Mädchen mit durchgeschnittener Kehle und zwei Jungen von etwa acht Jahren, dem Aussehen nach Zwillinge, ohne Hände.
Der Bote war ekelerregend gut gelaunt, plauderte viel über das Wetter und die ganze "Scheißssituation" und bot Benedetto auf zuvorkommendste und höflichste Weise seine Hilfe beim Transport "vom Fleisch" an. Wog schließlich 'ne Menge und Benedetto sah - bitten untertänigst um Verzeihung - nicht wie der Kräftigste aus.
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Post by Benedetto on Sept 22, 2014 23:17:17 GMT
Der dicke Mönch lächelte unverbindlich und schüttelte leicht den Kopf. Nein, das sei nicht nötig. Viel wichtiger sei, dass jemand beim Karren bliebe, nur für den Fall, dass doch einmal ein neugieriger Bruder nicht schlafen könne. Das Tuch möge solange zugeschlagen bleiben, das wäre sicherlich das Klügste für alle Beteiligten. Dann holte Benedetto eine alte Decke und legte die erste Leiche, den Mann, darauf. Er schlug das Tuch zusammen, band eine Kordel daran fest und zog die Leiche dann langsam und vorsichtig die Treppe herunter.
Die Reise der Leiche endete in einem kleinen, dunklen Nebenraum an den Katakomben. Hier war die Luft trocken und kühl, ideal für eine kurzzeitige Lagerung, wie eben auch die angrenzenden Gebäude selbst. Die Frau wurde auf die gleiche Weise transportiert, während Mädchen und Zwillinge von Benedetto getragen wurden, in beinahe feierlicher Haltung. Bei jedem der Gänge achtete der fette Mönch gut darauf, dass die neue Verbindungstür stets wieder hinter ihm verschlossen war.
Schließlich waren alle der so unglücklich verstorbenen sicher in dem kleinen Raum aufgebahrt. Benedetto stieg ein letztes Mal die Treppe herauf und nickte dem Boten zu. "Danke für die Wacht. Ich bin Benedetto, wie ihr sicher wisst." Er blickte den anderen abwartend an.
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Post by Il Narratore on Sept 26, 2014 16:47:22 GMT
"Weiß nicht, kümmert nicht", sagte der Leichenbringer mit einem Schulterzucken. "Der Name ist Mario. Mario Rossi." Er fuhr sich mit seiner schmutzigen Hand durch das Haar und warf einen umsichtigen Blick durch die Gegend, über die Hügel zwischen den Bächen und das Dorf Burgus am Horizont. Seine Hand wischte er an dem monochromen Stoff seiner Kleidung ab und wandte sich dann, grinsend an den Mönch. "Wern uns wohl öfter sehn, werte Herrschaft. Gibt gute und schlechte Zeiten, auch in unserm Geschäft. Schätz aber mal so einmal im Monat dürfte so ne Ladung kommen. Für weniger lohnt sich der Weg nich, auch wenn se dann etwas matschig wern. Könnt öffter komm', wenn se...nja, nich so ausgeleiert sein solln", sagte Mario Rossi mit diesem ekelhaften Grinsen im Gesicht und blickte an Benedettos Bauch herab, als würde er genau wissen, wofür er Leichen so gebrauchen könnte. Dabei rieb er Daumen und Zeigefinger der linken Hand aneinander.
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