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Post by Il Narratore on Sept 29, 2014 18:04:58 GMT
Jedermann hatte solche Abende, das war völlig normal. Jeder kannte dieses Gefühl der Einsamkeit, wenn man abends auf den Mond starrte und nicht ein noch aus wusste. Es war verständlich zu verzweifeln – besonders in so einer prekären Situation. Eine Familie und sich selbst zu ernähren war schließlich hart in diesen Zeiten, die Straßen voller Diebe und in jeder Kutte, in jedem Mantel steckte nur ein weiterer Räuber. Besonders in Genua setzte sich dieses Gefühl durch. Wozu schließlich aufbauen, was in zwei oder drei Jahren eh wieder von Mohammedanern verbrannt und beraubt werden würde? Nein, da war es doch besser, sich gleich die Kehle durchzuschneiden und ein Ende zu machen. Oder wenigstens sich bis zur Besinnungslosigkeit zu betrinken. Davon gingen die Sarazenen zwar nicht weg, aber die Sorgen um sie und um Frau und Kind.
Vampire kannten dieses Gefühl gut, besser als jeder Mensch. Melancholie und Einsamkeit das war die Essenz dessen was es bedeutete ein Kind Kains zu sein. Sterbliche waren so...unbedarft in fast jeder Hinsicht. Sie waren Kinder im Vergleich zu noch dem jüngsten echten Blutsauger und kaum mehr als Geschmeiß für die Ältesten. Nach hundert oder so Jahren wurden sie schließlich vorhersehbar und krude, nach drei oder vierhundert – wirklich, niemand zählte so genau noch mit – waren sie nicht einmal mehr Automatoi sondern Hebel. Man zog hier und dort passierte etwas. Sicher: Das eigene Blut machte sie für eine Weile wieder spannend, gradezu putzig in ihrer bodenlosen Hingabe und Liebe. Wie sie so übereinander fielen, um einem die Stiefel zu lecken und sich gegenseitig die hohlen Schädel einschlugen, nur für das Privileg, für die Gnade, dem Meister als Hocker zu dienen. Doch auch sie störten irgendwann mit ihrer Überfürsorge und ihrem ständigen Ringen um Aufmerksamkeit. Schreiende Kinder, nicht viel besser. Ja, die Verdammten kannten die Einsamkeit. wenn in der fünfundvierzigtausendstensechshundertundvierzehnten Nacht hintereinander niemand, absolut niemand auf der ganzen, weiten Welt war, der einen verstand, der wusste, was im eigenen Kopf vorging, konnte man schonmal in die Nacht hinausschreien.
Aber in diesen letzten Wochen war es irgendwie anders, seltsamer geworden, dieses Gefühl. Es war nicht länger nur die Abgrenzung von anderen und Unverständnis, nicht mehr nur diese Sperre im Kopf, die sich gegen Gesellschaft wehrte. Kälte war hinzugekommen. Es war der kälteste Winter in Genua seit Menschengedenken gewesen, fast in der Nähe des Gefrierpunktes. So kalt, dass der Atem vor den Mündern und Nasen gefror. Es hatte Andeutungen von Schnee und Eis gegeben. Viel zu kalt für die von der Sonne verwöhnten Italer. Sie schimpften und fluchten und versuchten sich mit hitzigen Reden warm zu halten, unfähig gegen das hereinbrechende Wetter etwas zu unternehmen. Eine Kälte in den Empfindungen, in der Unfähigkeit selbst Zorn oder Eifersucht zu verspüren gegen die eigenen Spielzeuge oder die Rivalen kam hinzu. Mit einem Wort: Apathie, Gleichgültigkeit herrschte. Es breitete sich in der ganzen Stadt aus, kroch in jedes Schlafzimmer, jedes Geschäft, jede Familie. Das Gemeindewesen selbst, das so vielen Jahren den Angriffen durch Heiden, der Verachtung durch fremde Herrscher, dem Elend der Verwüstung und dem Hunger standgehalten hatte, brach nun endgültig auseinander.
Die Menschen schrien sich nicht auf offener Straße an oder erschlugen sich in größerer Zahl als gewöhnlich – so war es nicht. Aber eine gewisse Atmosphäre der Unbehaglichheit, der Distanz zwischen den Teilen der Gesellschaft Genuas machte sich bemerkbar. Verschiedene, kleinere Ereignisse, die im Ganzen betrachtet Sorge erregen mussten. So beklagte sich der Biscof gegenüber dem Prior Ercole und einigen Äbten der Diözese über die Unverschämtheit einiger Dorfpriester, die – das wusste er, er wusste es einfach – die Höhe ihres Zehnten bewusst niedrig ansetzten, um weniger Abgaben an die Leid gebeutelte Stadt zu entrichten. Er beklagte diesen Geiz und prangerte ihn sogar in seiner Weihnachtspredigt im Jahre des Herrn 937 an. Denn wer dem Elenden seine Hilfe versagt, der ist nicht besser als sein Peiniger. Im Hafen fuhren mehr und mehr Händler aus, ohne ihre Waren zu löschen oder neue aufzunehmen – die Preise waren zu hoch, der Bestand zu knapp und die Holzfäller und Weber der Gegend zu gierig, zu sehr darauf bedacht noch mehr, noch schneller Geld mit dem Elend der Stadt zu machen. Die Kälte war nach Genua gekommen in diesem Winter und es schien, als würde sie bleiben wollen.
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Post by Benedetto on Sept 29, 2014 18:36:53 GMT
Ein Berg aus Stoff schob sich wackelnd durch die nächtlichen Straßen, vorbei an baufälligen Hütten und Ruinen. Aus der Masse ragte eine mit Stofffetzen umwickelte Hand hervor, hielt einen Wanderstab. Und unter dem faden Stoff des Mantels, den die massive Gestalt trug, ließ sich eine Mönchskutte erahnen. Doch dort, wo der Kopf sein sollte, drang untypischerweise keine kleine, weiße Wolke hervor. Wahrscheinlich, weil der Dicke in seine Kleidung atmete, um die Wärme zu bewahren.
Was sollte es auch sonst sein?
Benedetto waddelte um eine Ecke, in eine der kleineren Gassen. Hier hatte er in der letzten Nacht lautes Keuchen gehört. Der Raureif knirschte unter seinen Sohlen und selbst ihm, dem Unsterblichen, dem Toten, drang die Kälte empfindlich ins Mark. Über die dicken Finger, über die Nase... der Frost fand seinen Weg. Langsam, fast lethargisch, fand die Zunge den Weg zwischen die Lippen und leckte darüber. Der Mönch hielt inne, schloss die Augen. So verharrte er einige Sekunden.
Während er dastand, veränderte sich die Kälte. Noch immer stach sie, aber gleichzeitig betäubte sie den Schmerz auch langsam. Ein Kribbeln zuerst, dann angenehme Taubheit in den Fingerspitzen. Es wäre so schön, einfach ein Weilchen zu verharren. Was tat er hier eigentlich? Eine weitere Leiche untersuchen, einen weiteren Tod sehen - und wozu? Wen kümmerte es schon? Vielleicht sollte er einfach ein Weilchen schlafen. Ruhe in Frieden, Benedetto. Ruhe in Frieden.
Dann schüttelte er leicht den Kopf. Dieses Wetter setzte ihm zu. Aber stehenzubleiben, das war nicht die richtige Antwort. Wenn er erst die Geheimnisse kannte, die er suchte, dann würde ihn die Kälte vielleicht nicht länger stören. Er umfasste den Stab und schritt weiter aus, tiefer in die Gasse hinein. Schließlich hielt er inne. Das Bündel vor ihm war einmal ein Mensch gewesen, ein Krüppel, dem fehlenden Bein nach zu urteilen. Nun war es nur noch totes Fleisch. Frost legte sich schon über die Haut und die offenen Augen.
Benedetto kniete nieder, schlug ein Kreuz über dem Verstorbenen und sprach einige leise Worte. Dann kramte er in seinem Beutel. Stahl blitzte im Mondlicht. Die dicken Finger befreiten sich aus ihrer Hülle und tasteten. Die Augen glotzten. Die Zunge fuhr über erneut die Lippen, der Mund murmelte leise Worte. Schließlich ließ der Mönch von der Leiche ab.
Dann wickelte er sich wieder fester in den Stoff und ging zur Straße zurück.
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Post by Il Narratore on Oct 7, 2014 11:26:09 GMT
Die Straße, in der der Kappadozianer sich wiederfand, war jene, die von der Chiesa San Genesio zur Via San Bernardo führte. Die Via San Bernardo, die vom Petrustor im Norden der Stadt am Hafen entlang nach Süden führte, über den Marktplatz und an den zerstörten Kais vorbei. Frost knirschte auf den verkohlten Steinen und Balken der Gegend, als sich irgendwo etwas bewegte. Wahrscheinlich warf sich einer der Obdachlosen unruhig in den kältesten Stunden der Nacht umher oder suchte in den Trümmern seines Heimes noch nach Erinnerungen, die nicht gestohlen worden waren. Es war hier, an der Kreuzung von Bernardo und Genesio, wo sich das Haus des Peppe Ghiraldi befand. Eines der besseren Häuser in diesem Loch aus billigem Wein und noch billigeren Menschenleben, ständig flankiert von zwei seiner Milizionäre. Nicht, dass es viel geholfen hätte, aber zumindest die Aasgeier hielt es fort und die Männer in Bereitschaft. Auch heute wieder standen zwei Männer davor, dick eingepackt in mehrere Schichten Kleidung und mit Tüchern vor dem Gesicht. Ihre kruden Speere hielten sie kraftlos in den Händen und ihre Augen blickten müde zu dem Mönch. So, wie sie es die letzten Nächte schon beim Anblick des Mönches getan hatten. "Verzeiht, Bruder", rief einer von ihnen dem wandelnden Leichnam inmitten dieser kalten Hölle zu, "Peppe Ghiraldi möchte mit euch sprechen wegen eurer Suche. Er sagt er habe Hilfe für euch."
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Post by Benedetto on Oct 7, 2014 11:44:00 GMT
Mit eifrigem Schritt wackelte der Mönch an die beiden Wachen heran, stützte sich dann schwer auf seinen Stab, während er den Worten lauschte. Sein Gesicht war vermummt mit einem Wollschal und zudem waren die breiten Schultern hochgezogen bis beinahe an seine Ohren, was seinen Kopf schon halb im Stoff der Kutte verschwinden lies. Trotzdem war seine Antwort durch all die Kleidung vernehmbar: "Hab Dank, mein Sohn! Ich werde ihn sogleich aufsuchen."
Während er seinen Weg in das Innere des Gebäudes nahm, rief er sich seine vorherigen Treffen mit Peppe Ghiraldi ins Gedächtnis. Sein eigentliches Anliegen hatte er hinter einer allgemeinen Anfrage verborgen, aber vielleicht war ja am heutigen Tage ein Ergebnis dabei, welches ihm bei seiner Suche nützte. Leise seufzte er. Wahrscheinlicher war das Gegenteil und nun würde er wohl die Vigil verpassen. Aber es war ja für einen guten Zweck...
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Post by Il Narratore on Oct 13, 2014 19:24:50 GMT
Ghiraldi hatte selbst keine Informationen zu dem Fall Benedettos beitragen können. Er hatte ein bedauerndes, wenn auch distanziertes Gesicht aufgesetzt, und seine gebundenen Hände, die Grausamkeit Gottes verflucht. Zuviele Menschen verschwänden einfach - freiwillig oder unfreiwillig -, hunderte zu viel allein in seinem Bezirk, um auch nur ansatzweise einen Überblick behalten, geschweige denn jedem einzelnen nachgehen zu können. Sie starben, wurden verschleppt, krepierten an Seuchen oder rissen aus, um ihr Glück anderswo zu suchen. Die Miliz sei den Lebenden verpflichtet und einen Dieb könne man noch fassen, aber einen Geist? Wie sollte man einen Geist im Umland aufspüren? Er wisse allerdings jemanden, der ganz bestimmt mehr dazu wisse und kompetenter helfen könne, als seine vollauf beschäftigten Männer. Es würde einige Tage brauchen, da Kontakte herzustellen und herumzusuchen...aber derjenige könne da mehr tun.
Tatsächlich hatte Peppe mit diesem Jemand - Antigonos Kydones - gesprochen und ihm die Not der Bürger und das Anliegen eines gewissen, feisten Mönches zugetragen. Dieser sei - zweifellos auf göttlicher Mission - auf der Suche nach den Vermissten der Stadt und dies sei doch auch eine Anfrage des ehrenwerten Herren Kydones gewesen? Bei diesem Gespräch, man erinnere sich sicherlich, bei dem er auch erwähnt hätte, dass ein guter Teil der Verschwunden sicherlich nur aufs Land gezogen sei. Fort von dem Elend und der Seuche der Großstadt, um von der eigenen Hände Arbeit zu leben.
Nicht weiter verwunderlich also, dass Peppe Ghiraldi, der zu so später Stunde noch über einem Glas Wein mit seinen Adjutanten und Untermännern zechte, sogleich einen Laufburschen losjagte. Antigonos Kydones solle er holen, na los! Wegen dieser Sache. Na dieser Sache halt, über die man neulich gesprochen hätte - der Fe...Verzeihung, der Mönch sei da.
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Post by Antigonos on Oct 13, 2014 20:56:36 GMT
Tatsächlich war dieser Jemand wohl deutlich mehr an Benedettos Suche interessiert als Ghiraldi selbst. Denn er kam mit dem Laufburschen im Schlepptau nach einigen Minuten schon ins Zimmer. Sein Blick suchte nach dem Mönch, den man ihm nun schon mehrfach beschrieben hatte und fand ihn zielsicher. Anders als manch einer in der Stadt brauchte er keine Angst vor dem Hungertod haben. Aber das war nun wirklich kein Grund, ihn abzuweisen.
Antigonos trat auf den Mönch zu und nickte grüßend. „Guten Abend. Wie ich höre, seid ihr auf der Suche nach den Verschwundenen.“ Mit seiner Linken deutete er auf einen kleinen… Tisch? Es war eigentlich ein Fass mit einem speckigen Brett darauf, auf dem die Milizionäre für gewöhnlich um die Wette würfelten. Daneben standen zwei Schemel, wovon Antigonos dem Kleriker einen anbot und den zweiten selbst besetzte. Er trug seine blaue Dalmatica, eine sehr lockere und bequeme Bekleidung vermutlich, und saß breitbeinig auf dem Sitzmöbel. Er saß zurückgelehnt und aufrecht, den Fremden musternd.
„Ich will Euch dabei helfen, diese Leute zu finden. Leider ist es kein Geheimnis, dass wir nur Vermutungen über ihren Verbleib haben, weil bisher keine Nachforschungen darüber angestellt wurden.“ Er kratzte sich nachdenklich am Bart, während am größeren Tisch die Gespräche der angeheiterten Männer so laut waren, dass kaum eine Gefahr bestand, dass sie die Unterhaltung der beiden hören würden – oder etwas Konstruktives dazu beitragen würden. „Wie seid Ihr auf die Sache aufmerksam geworden?“ er verengte die Augen „Hat jemand den Schutz Eures Klosters gesucht? Gab es Verletzungen?“
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Post by Benedetto on Oct 13, 2014 21:24:20 GMT
Der Mönch ließ sich schwer auf den Schemel fallen, dann faltete er die Hände und lächelte gütig. "Ich kann euch bedauerlicherweise nicht erzählen, wer mir von diesen Fällen berichtet hat. Das Beichtgeheimnis verbietet es." Entschuldigend zuckte er mit den Schultern und musterte sein Gegenüber. "Ich... kann euch zu diesem Zeitpunkt nur Vermutungen anbieten, die aufgrund ihrer unsicheren Natur unbedingt unter uns beiden bleiben müssen."
Dann lehnte er sich zurück. "Zunächst aber muss ich sicherstellen, dass ich nicht dem Hirngespinst einer Verrückten aufgesessen bin, werter... ähm..." Er schien sich zu fragen, welchen Rang dieser Antigonos wohl in der Miliz bekleidete, hustete dann kurz und sprach weiter. "Die besagte Person hat mir einige unschöne, blutige Details geschildert." Er leckte sich die Lippen. "Vielleicht wollte er sich nur wichtig machen. Es kommt nicht oft vor, dass jemand im Beichtstuhl lügt, aber wenn..."
Die dicken Zeigefinger tippten aneinander. "Wenn ihr schon Beschreibungen von Vermissten habt, so würde ich sie gerne hören. Vielleicht stimmt ja etwas davon mit dem Gebeichteten überein - und in diesem Falle wäre es wohl meine gute Christenpflicht, euch zumindest Hinweise zu geben." Die blassen Augen fixierten Antigonos. Es war wie der Blick eines Toten, aus diesem fetten, weißen Gesicht. Ein unangenehmer Blick.
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Post by Antigonos on Oct 21, 2014 19:30:40 GMT
Antigonos schaute den Mönch konzentriert an und runzelte nach einer Weile die Stirn. Beichtgeheimnis? Nahmen Mönche überhaupt die Beichte ab? Wie lange war es wohl her, dass er selbst gebeichtet hatte?
"Ich kann Euch versichern, dass die Verschwundenen keine Lüge sind, auch wenn der in Eurem Beichtstuhl Euch ein Märchen erzählen wollte. Mittlerweile sollen schon Dutzende, vielleicht sogar hunderte Leute wie vom Erdboden verschluckt sein. Leider weiß ich bisher noch von keinem, der Familie oder Freunde hinterlassen hätte, die sich genauer an ihn erinnern würden." er wedelte beschwichtigend mit einer Hand "Das soll jetzt nicht heißen, dass nur Einzelgänger verschwinden, nur dass ich noch von keinem Zurückgebliebenen weiß. Jedenfalls kann die Miliz gerade noch nichts Genaueres über die einzelnen Personen sagen." Besser gesagt, es juckte sie nicht besonders, aber es war nicht nötig, ein noch schlechteres Licht auf die Miliz zu werfen, als das in dem sie sowieso schon stand. Auch wenn sie in Zukunft ihr Ansehen selbst verdienen sollte.
"Vielleicht haben die Leute eine neue Heimat gesucht, in Luccoli oder Macceli." Er zuckte unsicher erwägend mit den Schultern. "Keiner weiß, ob ihnen etwas zugestoßen ist, aber ich gehe den Sachen aus Erfahrung lieber auf den Grund, als vom Besten auszugehen."
Er zwang sich, die aufgedunsene Visage wieder fester anzusehen, nachdem sein Blick unstet geworden war. Dieser Benedetto sah toter aus als er selbst war. "Sagt mir bitte, was man Euch im Beichtstuhl zugeflüstert hat und welche Vermutungen Ihr habt! Ich bin gerne bereit, das Risiko einzugehen, wenn wir dadurch eine arme Seele retten können."
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Post by Benedetto on Oct 21, 2014 21:17:16 GMT
Soweit es allgemein bekannt war, gab es Beichtstühle in Kirchen und Mönche in Klöstern und die beiden kamen recht selten zusammen. Dabei war natürlich nicht ausgeschlossen, dass Benedetto den Begriff "Beichtstuhl" metaphorisch nutzte, um eine anderweitig erhaltene Beichte zu beschreiben, etwa von einem Sterbenden, für den gerade kein Priester anwesend gewesen war. Oder aber der dicke Mönch log. Das blasse, fette Gesicht schwitzte nicht, zuckte nicht, verriet nichts.
"Nun..." Der Mönch schwieg einen Moment und drehte die Augen nachdenklich nach oben. "Nun, nun..." Dann fixierten seine Augen erneut das Gesicht seines Gegenübers. "Lasst mich euch einige Gedankenanstöße geben. Der Herr hat in seiner unergründlichen Weisheit entschieden, die Plage der Sarazenen über die Stadt zu senden. Das darauf folgende Chaos ist wie ein Nährboden für allerlei Sünden, denn wenn die weltliche Ordnung überworfen wird, dann geht den Menschen auch der Blick auf die göttliche verloren."
Er machte eine ungeduldige Handbewegung. "Was ich damit sagen will, ist: Viele eurer Verschwundenen werden den Nachwehen dieses Chaos' zum Opfer gefallen sein. Armut, Krankheit, den Verbrechern auf den Straßen. Aber..." Benedetto rieb sich seine Kinne. "Stellt euch einmal vor, in diesem Chaos lebt ein Mann. Nach außen hin geachtet, ein Mann mit Einfluss, mit Macht. Aber innerlich ein Monstrum. Zerfressen von seinen Gelüsten." Er schwieg einen Moment, seufzte dann schwer.
"Wann besser, diese Gelüste auszuleben und die Spuren davon verschwinden zu lassen, als in einer Zeit, in der ohnehin Menschen verschwinden?"
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Post by Antigonos on Oct 23, 2014 16:39:29 GMT
Die Stirn des Griechen legte sich in Falten, als der Mönch ausholte. Wollte er ihm jetzt tatsächlich nochmal die Situation der Stadt erklären? Glaubte er vielleicht, ein völlig Ortsfremder säße im Hauptquartier der Miliz um Besucher zu empfangen? Nicht, dass das ganz an der Wahrheit vorbei ging.
Er wusste nicht, ob Benedetto etwas zu verheimlichen hatte - warum wäre er dann auch hierher gekommen? - doch er tänzelte fortwährend um den heißen Brei herum und langsam aber sicher hatte Antigonos Lust, ihn mit dem dicken Mondgesicht mitten hinein zu stuken. Im Zuge dieser Überlegung rutschte sein Oberkörper über dem Tisch immer weiter nach vorn.
Dann schließlich zwang er sich wieder in eine aufrechte Position und fuhr sich mit einem so festen Handgriff über das Kinn, dass es schmerzte. Er atmete durch. Wovon sein Besucher jetzt redete schien wichtig. Gelüste...
Eine Weile schaute der bärtige Lockenkopf sein Gegenüber grübelnd an. Offensichtlich hatte er Recht gehabt: Der Mönch hatte etwas zu verbergen. "Ihr wisst offenbar von einem solchen Mann." er ruderte mit einer Hand und rollte leicht mit den Augen "Auch wenn es sich nur um die Anschuldigungen einer einzelnen Person handelt, die lügen könnte. Stellen wir uns einfach vor, ich nähme jetzt die Beichte ab und alles bliebe unter uns: Um wen geht es?" sein Blick wurde eindringlich und fordernd. "Ich sehe ein, dass Eure Vorsicht klug ist, wenn es sich um eine Person von Macht und Einfluss handelt." räumte er schließlich sanfter ein und überlegte einen Moment, ehe er leise fortfuhr "Aber ich bin sicher, Gott lässt sich gestohlene Leben nicht in Gefälligkeiten aufwiegen. Oder irre ich mich da? "
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Post by Benedetto on Oct 25, 2014 7:21:55 GMT
Der Mönch beobachtete sein Gegenüber interessiert, stets lächelnd, so wie ein Wissenschaftler ein Studienobjekt untersucht. Dann, als Antigonos weiter freundlich blieb, seufzte er schwer. "Ihr versteht das Problem nur zum Teil. Die Person, von der ich mein Wissen habe, war... nicht gerade ein Freund von Details." Er senkte seine Stimme. "Ich kenne keinen Namen."
Dann lehnte er sich vor. "Aber ich kenne einige Details..." Er blickte sich im Raum um, leckte sich die Lippen. Seine Augenlider fuhren nervös auf und ab. Leise, schnell, beinahe flüsternd sprach er, so, als würden die beiden beobachtet. "Sie könnten euch auf die richtige Spur führen, werter Milizionär. Aber ich brauche die Zusicherung, dass ihr versucht, mich vor jedem Schaden zu bewahren, der daraus entspringt, dass ich sie euch mitteile. Nein, ich brauche euren Schwur."
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Post by Antigonos on Oct 28, 2014 19:02:02 GMT
Antigonos kam Benedetto entgegen als dieser sich zu ihm vor beugte und hörte konzentriert zu. Er begann nachdenklich, dann fester zu nicken. "Ah, ich verstehe." Auf den Wunsch des Mönches hin machte er eine Pause. Es wirkte nach wenigen Augenblicken schon nicht mehr, als ob er groß nachdenken würde. Denn sein Blick ruhte wach und fest auf den Augen des Mönches. Vielmehr machte er wohl eine rhetorische Pause um seine folgenden Worte nicht unüberlegt daher gesagt wirken zu lassen.
"Ich schwöre, dass ich das Möglichste tun werde um Euch vor Schaden zu bewahren. Es soll nicht Euer Nachteil sein, wenn Ihr helft, Eure Mitbürger zu schützen." dann räusperte er sich beiläufig und verhakte seine Finger ineinander um die vorgebeugte Position bequemer und ordentlicher zu machen. "Bitte nennt mir diese Details!"
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Post by Benedetto on Oct 28, 2014 22:34:50 GMT
Der Mönch schien genau zu lauschen, als der Schwur getan wurde. Dann nickte er. "Das arme Kind Gottes, mit dem ich sprach, verriet mir, dass er mit einem jungen Gefährten in einen der Wälder hier in der Umgebung ging - und nein, ich kann euch nicht sagen, welcher Wald dies war, denn ich weiß es nicht. Dort verlor er seinen Gefährten aus den Augen. Als er den Knaben suchte, hörte er Schreie, die Schreie einer Frau."
Benedetto leckte sich die Lippen, schien nachzudenken. "Dann... sah er seinen Gefährten. Dieser beobachtete etwas. Eine Frau, die Frau, die dort schrie, wurde gegen ihren Willen genommen in diesem Wald." Er schüttelte leicht den Kopf. "Was war es noch gleich, wie er es beschrieb? 'Blut und Tränen, Blut und Tränen.'" Der Dicke seufzte. "Nun ja, jedenfalls wollte er gerade an den Jungen heranschleichen, da sah er, dass es zu spät war. Jemand stand hinter diesem. Und ein Speer ragte plötzlich aus der Brust des Knaben."
Der Mönch blickte ernst auf den Milizionär. "Bei diesem Anblick floh die arme Seele. Ich habe sie entdeckt - fragt nicht wo - und ihr einige Antworten entlockt. Seitdem habe ich nichts mehr von ihr gehört." Er runzelte die Stirn. "Ich hoffe, wer auch immer dort sich unter Bewachung so schändlich an der Frau verging, hat nicht den letzten Zeugen seiner Tat beseitigt."
Dann beugte er sich vor und sprach leise, sehr leise. Und sehr ernst. "Das einzige, was er mir noch beschreiben konnte, war die Kleidung des Schänders. Er trug..." Benedetto zögerte. Und sprach es aus. "...eine Soutane."
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Post by Antigonos on Nov 2, 2014 22:37:16 GMT
Die Miene des Milizionärs verfinsterte sich während er der Geschichte lauschen musste. Es war klar, dass er entweder nicht gern so etwas hörte - ja es ihn eher in Rage versetzte - oder er diesen Eindruck zumindest erwecken wollte.
Antigonos schnaubte verächtlich und blickte sich wie der Mönch nochmals um, bevor er sprach. "Was ihr mir da erzählt ist eine widerliche Schandtat." er rümpfte die Nase und warf eine Hand hilflos in die Luft "Aber es bringt mir vorerst nicht mehr als schlechten Schlaf." er schüttelte resignierend den Kopf. Verärgert über die Situation gestikulierte er seine Aufzählung über den improvisierten Tisch "Wir wissen nicht, wo es geschah, wer den Speer schwang oder wo der Zeuge ist. Hat er Euch die Frau beschrieben? Oder könnt ihr mir eine Beschreibung des Jungen geben, der es euch erzählte?" er grübelte für einen Augenblick "Eine Soutane zeichnet den Schänder womöglich als Kleriker aus. Doch ist es nicht üblich, dass ein Kleriker mit speertragender Mannschaft unterwegs ist, nicht wahr? Fällt euch da vielleicht jemand Bestimmtes ein?"
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Post by Benedetto on Nov 3, 2014 17:02:23 GMT
Betrübt schüttelte der Mönch den Kopf. "Aber ihr versteht, warum ich so zurückhaltend mit diesem Wissen war? Allein schon der Verdacht..." Er schloss die Augen. "Natürlich wäre es möglich, dass sich jemand als Kleriker ausgibt. Auch ich weiß von niemandem, der sich derart mit Wachen umgibt. Andererseits bin ich nicht gerade oft zu Treffen mit den Kirchenoberen geladen, sondern verbringe die meiste Zeit in der Ruhe unseres Klosters. Doch diese Geschichte, sie trieb mich um."
Dann schwieg er, die Augen geschlossen, die Lippen leise Worte formend. Betend? Schließlich blickte er Antigonos an. "Ich riskiere viel, hierherzukommen. Also erinnert euch an euer Versprechen."
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