Post by Benedetto on Apr 23, 2015 18:58:25 GMT
Der Blick des Christen zeigte Scham, als er nach dem Anhänger griff. Esra wandte die Augen ab. Machte es ihm leichter. Er wog den Beutel in seiner Hand. Direkt nachzuzählen war nicht klug. Es würde den anderen verärgern. Und Esra wusste genau, auf welche Seite sich die Nachbarn, die Wachen stellen würden, wenn es zum Streit kam. Besser, etwas Geld zu verlieren, als die delikate Balance zu stören, die er sich geschaffen hatte. Besser, als seinen Frieden zu verlieren.
Sein Kunde verließ rasch den kleinen Verschlag, den Esra nach den Plünderungen in Besitz genommen hatte. Beinahe hätte er dabei die Mesusa von ihrer Halterung gerissen, doch im letzten Moment drehte er sich und stolperte auf die Straße hinaus. Vielleicht hatte er Angst davor, sie zu berühren, mit etwas in Kontakt zu kommen, das er nicht verstand.
Esra seufzte leise. Wie jeden Abend, wenn die Sonne untergegangen war, schweiften seine Gedanken zurück in die Vergangenheit. Er dachte an Rebekkah, an die gemeinsamen Abende. Er dachte an Abraham, an die Worte des alten Mannes. "Das Mysterium Gottes ist das tiefste von allen - und zugleich das höchste." Abraham hatte solche Paradoxien geliebt, so wie er Esra geliebt hatte. Wenn der Alte ihn jetzt sehen könnte, in diesem elenden Loch, ein Verkäufer von Amuletten.
Selten hatte sich Esra Gott so fern gefühlt, als in diesem Augenblick.
Plötzlich drang ein leises Pochen in seine Gedanken vor, riss ihn zurück in die Realität seiner kleinen Hütte. Er zog die runzligen Augenbrauen zusammen, erhob sich langsam und schritt zur Tür. Durch den kleinen Spalt in der Mitte des Holzes konnte er schemenhaft eine Gestalt draußen erkennen, massig und breit. Vor allem aber sah er das Kreuz auf der Brust des Mannes.
Wie Galle stieg die Angst in ihm auf, bevor sein Verstand einspringen und ihn beruhigen konnte. Der Mann war alleine. Er hatte geklopft, höflich geklopft. Und er stand abwartend da, schrie nicht die halbe Stadt zusammen. Etwas beruhigter, aber nicht weniger wachsam, öffnete er die Tür ein wenig. "Einen guten Abend." Höflichkeit schadete nicht, besonders gegenüber den Gojim. "Was wünscht ihr?"
Der dicke Mann - ein Mönch, der Kleidung nach zu schließen - studierte ihn. Seine milchigen Augen wanderten über Esras Gesicht. Sein Gesicht wirkte ungesund bleich, aufgequollen wie das Gesicht einer Wasserleiche. Der Mund des Fetten war eine dünne Linie, als er nun sprach. Und die Stimme... sie war wie ein Grabeshauch, bar jeden Gefühls. "Esra ben Levi." Keine Frage, eher eine Feststellung. "Ich habe lange nach euch gesucht. Wir müssen reden."
---
Esra wusste später nicht mehr, warum er den Dicken überhaupt hineingelassen hatte. Wahrscheinlich, um Aufmerksamkeit zu vermeiden. Der Mönch hatte die kleine Behausung aufmerksam studiert, insbesondere die Menorah, die Mesusah und - so schien es Esra zumindest - auch den Teppich, unter dem Esra seine wertvollsten Schätze vergraben hatte, die Lehrbücher, die Schriftrollen.
Dann hatte der Dicke ihm erklärt, dass er ein Suchender war, so wie Esra. Dass er von dem Juden gehört hatte, der in Domus seine Amulette verkaufte. Und schließlich die Fragen. Es war die Art Fragen, die auch Abraham gerne gestellt hatte, die Fragen nach den letzten Antworten. Gegen besseres Wissen war Esra darauf eingegangen und hatte geantwortet. Und seinerseits Fragen gestellt.
Schließlich, der Morgen dämmerte schon, hatte der Mönch gelächelt und genickt, offenbar befriedigt. Esra hingegen war verwirrter als zuvor. Als der Dicke sich zur Tür hinausschob, drehte er sich halb zu dem Juden um. Reichte ihm das Amulett, das Esra am Abend verkauft hatte. Der Wachsverschluss war geöffnet worden. Der Mönch blickte ihn nachdenklich an.
"Ihr verschwendet euer Wissen," sagte er schließlich und faltete die Hände. "Aber ich weiß, dass in euch der Wunsch nach Erkenntnis steckt. Ich habe ihn in euch gespürt, heute nacht. Ich erkenne ihn, denn ich fühle wie ihr. Männer wie ihr und ich, wir sind nicht zufrieden, wenn wir das unendliche Mysterium sehen. Wir müssen es erforschen." Seine Augen schienen für einen Moment lebhafter als zuvor, von einem inneren Drang erfüllt. "Wenn ihr es wünscht, werde ich wiederkehren, so dass wir unser Gespräch fortführen können."
Esra schluckte. Sein Verstand riet ihm, die Tür zu schließen. Die Furcht davor, seinen Frieden zu verlieren, machte seine Hände zittern. Doch er spürte auch etwas anderes. Etwas, das er verloren geglaubt hatte. Etwas, das in den Worten des Mönches mitschwang.
Langsam nickte er.
Sein Kunde verließ rasch den kleinen Verschlag, den Esra nach den Plünderungen in Besitz genommen hatte. Beinahe hätte er dabei die Mesusa von ihrer Halterung gerissen, doch im letzten Moment drehte er sich und stolperte auf die Straße hinaus. Vielleicht hatte er Angst davor, sie zu berühren, mit etwas in Kontakt zu kommen, das er nicht verstand.
Esra seufzte leise. Wie jeden Abend, wenn die Sonne untergegangen war, schweiften seine Gedanken zurück in die Vergangenheit. Er dachte an Rebekkah, an die gemeinsamen Abende. Er dachte an Abraham, an die Worte des alten Mannes. "Das Mysterium Gottes ist das tiefste von allen - und zugleich das höchste." Abraham hatte solche Paradoxien geliebt, so wie er Esra geliebt hatte. Wenn der Alte ihn jetzt sehen könnte, in diesem elenden Loch, ein Verkäufer von Amuletten.
Selten hatte sich Esra Gott so fern gefühlt, als in diesem Augenblick.
Plötzlich drang ein leises Pochen in seine Gedanken vor, riss ihn zurück in die Realität seiner kleinen Hütte. Er zog die runzligen Augenbrauen zusammen, erhob sich langsam und schritt zur Tür. Durch den kleinen Spalt in der Mitte des Holzes konnte er schemenhaft eine Gestalt draußen erkennen, massig und breit. Vor allem aber sah er das Kreuz auf der Brust des Mannes.
Wie Galle stieg die Angst in ihm auf, bevor sein Verstand einspringen und ihn beruhigen konnte. Der Mann war alleine. Er hatte geklopft, höflich geklopft. Und er stand abwartend da, schrie nicht die halbe Stadt zusammen. Etwas beruhigter, aber nicht weniger wachsam, öffnete er die Tür ein wenig. "Einen guten Abend." Höflichkeit schadete nicht, besonders gegenüber den Gojim. "Was wünscht ihr?"
Der dicke Mann - ein Mönch, der Kleidung nach zu schließen - studierte ihn. Seine milchigen Augen wanderten über Esras Gesicht. Sein Gesicht wirkte ungesund bleich, aufgequollen wie das Gesicht einer Wasserleiche. Der Mund des Fetten war eine dünne Linie, als er nun sprach. Und die Stimme... sie war wie ein Grabeshauch, bar jeden Gefühls. "Esra ben Levi." Keine Frage, eher eine Feststellung. "Ich habe lange nach euch gesucht. Wir müssen reden."
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Esra wusste später nicht mehr, warum er den Dicken überhaupt hineingelassen hatte. Wahrscheinlich, um Aufmerksamkeit zu vermeiden. Der Mönch hatte die kleine Behausung aufmerksam studiert, insbesondere die Menorah, die Mesusah und - so schien es Esra zumindest - auch den Teppich, unter dem Esra seine wertvollsten Schätze vergraben hatte, die Lehrbücher, die Schriftrollen.
Dann hatte der Dicke ihm erklärt, dass er ein Suchender war, so wie Esra. Dass er von dem Juden gehört hatte, der in Domus seine Amulette verkaufte. Und schließlich die Fragen. Es war die Art Fragen, die auch Abraham gerne gestellt hatte, die Fragen nach den letzten Antworten. Gegen besseres Wissen war Esra darauf eingegangen und hatte geantwortet. Und seinerseits Fragen gestellt.
Schließlich, der Morgen dämmerte schon, hatte der Mönch gelächelt und genickt, offenbar befriedigt. Esra hingegen war verwirrter als zuvor. Als der Dicke sich zur Tür hinausschob, drehte er sich halb zu dem Juden um. Reichte ihm das Amulett, das Esra am Abend verkauft hatte. Der Wachsverschluss war geöffnet worden. Der Mönch blickte ihn nachdenklich an.
"Ihr verschwendet euer Wissen," sagte er schließlich und faltete die Hände. "Aber ich weiß, dass in euch der Wunsch nach Erkenntnis steckt. Ich habe ihn in euch gespürt, heute nacht. Ich erkenne ihn, denn ich fühle wie ihr. Männer wie ihr und ich, wir sind nicht zufrieden, wenn wir das unendliche Mysterium sehen. Wir müssen es erforschen." Seine Augen schienen für einen Moment lebhafter als zuvor, von einem inneren Drang erfüllt. "Wenn ihr es wünscht, werde ich wiederkehren, so dass wir unser Gespräch fortführen können."
Esra schluckte. Sein Verstand riet ihm, die Tür zu schließen. Die Furcht davor, seinen Frieden zu verlieren, machte seine Hände zittern. Doch er spürte auch etwas anderes. Etwas, das er verloren geglaubt hatte. Etwas, das in den Worten des Mönches mitschwang.
Langsam nickte er.