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Post by Alerio on Apr 23, 2015 22:26:13 GMT
Es regnete. Kalt und nass fiel er vom Himmel. Ungesehen, erst sichtbar werdend, durch seinen Aufschlag. Ein winziges Platschen, ein Prasseln, ein allumfassendes Rauschen. Abertausende Tropfen die die Erde tränken. Abertausende, die auf Mensch und Tier fallen, Fell und Kleidung durchdringen, die Haut benetzen und einen kalten Schauer hinterlassen. Eng wickelten sich die Menschen in ihre Kleidung, in ihre Fetzen um sich vor Nässe und Kälte zu schützen, suchten Schutz in ihren Häusern und Tavernen. Die die konnten. Jene, die kein Heim besaßen mussten sich mit selbstgebauten Unterständen und aufgespannten Stofffetzen begnügen. Die noch weniger Glücklichen waren dem Regen schutzlos ausgeliefert. Der dreckige, von Unrat übersäte Boden der Stadt, war aufgeschwemmt und schlammig, fraß sich unbarmherzig in das Schuhwerk der Menschen, in die Kleidung der Bettler. Normalerweise kann man den Regen riechen, wenn er auf die Erde fällt, den Geruch von feuchter Erde und Gras. Doch hier, in diesem Pfuhl, gab es kein Gras, keine Erde, die nicht mit Tod und Scheiße übersät war. Hier stank es. Ein Gestank, den der frische Regen noch verstärkte, anstatt hinwegzuspülen.
Das Monster, dass sich unter die Menschen gesellt hatte, war in diesen Momenten froh, dass es nicht mehr riechen musste. Den furchtbaren Geruch nicht ertragen musste. Auch der Regen, kümmerte ihn nicht. Zwar spürte es die Nässe, die sich durch seine Kleidung gedrückt und seine Haut benetzt hatte. Spürte das nasse Haar am Kopf kleben, doch die Kälte spürte er nicht. Der Regen konnte ihm keine Wärme rauben, ihn nicht frieren lassen. Ungerührt durchstreifte es die Straßen, auf der Suche und rastlos. Schlich von Schatten zu Schatten, ungesehen, unbeachtet von den Menschen, die nun nicht mehr schützenswert waren, sondern Beute.
Ein Gedanke, der ihn immer betrübte. Immer noch, nach all den Jahren. Er hatte nicht vergessen, was und wer er gewesen war, wie manch andere. Hatte die Zeiten als Mensch nicht vergessen, wollte an ihnen festhalten, an den Erinnerungen. Doch wenn das Tier in ihm erwachte, wenn es gierte, nach dem Leben. Dann hatte er keine Wahl. Dann wird ihm immer wieder bewusst, dass er nicht mehr wie sie ist, das er ein Ungeheuer ist, ein Raubtier der Nacht. So weit entfernt von ihnen. Allein in der Dunkelheit.
An die Dunkelheit, die Nacht, hatte er sich gewöhnt, hat damit Leben gelernt, die Sonne nie wieder zu sehen, denn sein Blut gebietet über die Schatten selbst und das Tier tut sein übriges, die Sonne leidig zu machen. Doch auch dies erinnert ihn immer wieder daran, dass er kein Mensch mehr ist. Wenn er die Dunkelheit in den Schatten spürt, sie formt und bewegt, dann spürt er die Kluft immer größer werden. Je mehr ihn die Finsternis ruft, desto weiter entfernt er sich von denen die er schützen will. Wie lange noch, bis er vergisst? Wie viele Jahre werden noch vergehen, bis sie ihm gleichgültig werden? Bis er sich über sie erhebt? Es zerrte an ihn. Nagte an seinem Gewissen und Gemüt, jede Nacht aufs Neue.
Die Jagd war nie leicht für ihn. Sein kleiner Leib hatte keine Kraft um jemanden niederzuschlagen oder zu überfallen. Seine Beute, waren die Wehrlosen, die sich ohnehin durchs Leben schleppen mussten, die nichts mehr hatten und sich mehr im Dreck der Straßen aufhielten als anderswo oder gutmütige Menschen, die tatsächlich bereit waren, einem bettelnden Straßenkind ihre Aufmerksamkeit zu schenken. Menschen, die es nicht verdient hatten, dass man ihnen noch ihr Blut nahm. Doch der Hunger musste gestillt werden. Diese verfluchte Gier.
Der Regen machte es schwer ein geeignetes Opfer zu finden. So blieb ihm diese Nacht nur, die Schlafstätten der Armen und Bettler aufzusuchen. Es war gar nicht so einfach, jemanden zu finden, der allein schlief. Menschen brauchen Gesellschaft und Gesellschaft bietet Schutz. Doch der Vampir war leise. Sie konnten ihn nicht hören, nicht sehen, wenn sie schliefen. Und innerhalb weniger Sekunden, war es auch schon vorbei. Schnell hatte er sich jemanden ausgesucht, sich unhörbar der schlafenden Gestalt genähert und ohne noch weiter darüber nachzudenken, seine spitzen Zähne in den Hals des Menschen geschlagen. Die weiche Haut durchstoßen und die Ader darunter geöffnet. In dem Moment wo das heiße Blut seine Zunge berührte, war alles um ihn vergessen. Gierig saugte er es aus der Wunde. Nur wenige Schlucke, dann musste er ablassen, musste sich dazu zwingen, den Menschen nicht zu töten. So sehr das Tier auch protestierte.
So schnell und ungesehen wie er gekommen war, verschwand er wieder, lies den Menschen in einem Zustand von Traum und Rausch zurück. Und auch der kleine Vampir schwankte zwischen Befriedigung und Reue. Er fühlte sich schlecht und dennoch gut. Ein aufwühlendes Gefühl, mit dem er leben musste. Ewig. Doch vielleicht, würde es ihm irgendwann nichts mehr ausmachen.
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Post by Alerio on May 26, 2015 19:17:29 GMT
Ich spüre den Schmerz schon kaum noch, den kurzen Schmerz, den seine Zähne verursachen, wenn sie durch meine Haut dringen. Nach all der Zeit, nehme ich es gar nicht mehr wahr. Nur das süße Gefühl das darauf folgt. Das Hochgefühl, das mein Herz schneller schlagen lässt, das mich mit sich reißt und mich in die Ohnmacht stürzt.Ich gebe mich ihm hin, wie immer, gänzlich freiwillig, nur um dieses Gefühl auszukosten. Was ist das nur, diese Macht, die mich mehr nach dem Biss eines Monsters gieren lässt, als nach der Nähe eines Mannes? Wenn er ein Mann wäre, wäre es vielleicht nicht einmal so schlimm, doch er ist ein Junge. Ein Kind an der Grenze zum Erwachsenwerden stehen geblieben. Ein Ungeheuer in Menschengestalt, in unschuldiger Kindergestalt.
Als ich ihn das erste mal traf, hielt ich ihn tatsächlich für ein Kind. Ein Kind wie wir alle, die sie von den Straßen holten. Doch die Wahrheit offenbarte sich schnell, auch wenn ich es nicht verstehen wollte. Die älteren, die Erwachsenen hörten auf ihn und befolgten seine Befehle. Einige andere von ihnen, schienen nie etwas zu tun. Saßen immer nur herum und wirkten so schwach. Doch viele Arme waren krank, vielleicht waren sie einfach krank. Als Kinder interessierte uns das nicht. Es war eine Zeit als alles möglich schien und es keine Grenzen gab, als es aber auch schwer und gefährlich war, als wir von einer besseren Zeit träumten. Und er war immer da und half uns. War ja immer so nett und freundlich, klug und erfahren. Spielte das Kind perfekt. Wir hatten keinen Grund zu zweifeln, zu rebellieren, zu fürchten. Und selbst jetzt frage ich mich ob es etwas geändert hätte, wenn wir es früher gewusst hätten. Wären wir dann gegangen? Vermutlich nicht. Er gab uns ein Zuhause, eine Familie, Essen. Wer hätte all dies aufgegeben?
Einige Jahre vergingen, in denen wir uns als Diebe verdingten, bis ich seine wahre Natur erfuhr. Ich weiss nicht mehr wie alt ich war, vielleicht 14...16 Jahr? Egal, es war auf jeden Fall ein Tag...eine Nacht wie jede andere, so dachte ich, als ich plötzlich geholt wurde. Es war der Mann, den sie Verräter nannten, der mich abholte und zu Alerio brachte. Nie konnte oder wollte mir jemand sagen, warum sie ihn so nannten, bis heute weiß ich es nicht. In dieser Nacht, sah ich zum ersten Mal das Monster, das wahre Gesicht des Kindes, das nicht altert. Tote Augen, bar jeglichen Lebens, das sie sonst ausstrahlten. Eine Lüge, eine Maske, ein Spiel. Mit schönen Worten hatte er mich eingelullt. Nicht erst da, schon all die Jahre zuvor. Und bereitwillig gab ich ihm alles, was er wollte. Selbst mein Blut. Leichtfertig, ohne zu wissen, was es bedeutete, ließ ich es geschehen. Den Biss. Doch anstatt mich zu fürchten, genoß ich es. Ich weiß nicht mehr genau was geschah, doch später fand ich mich auf meinem Nachtlager wieder. An der Tür stand der Verräter und schaute mich mit einem seltsamen Blick an, den ich nicht deuten konnte. Ich hatte es damals nicht verstanden oder viel mehr, nicht darüber nachgedacht, aber er hatte nicht umsonst dort gestanden. Er hatte Wache gehalten, mich beobachtet, ob ich fliehen würde. Hätte er mich dann umgebracht? Ich floh nicht. Ich blieb und gab mein Blut, wann immer es nötig war. Ich kann nicht sagen, dass ich es bereue, denn ich hatte nie eine Wahl.
Benommen öffne ich die Augen und schaue direkt in seine. Kalt und tot, so wie seine Haut, wie sein ganzer Körper. Das Gesicht immer noch so jung, wie früher. Frisches Blut klebt an seinem Mund. Mein Blut. Mich fröstelt. Warum kann ich mich daran nicht gewöhnen? Schnell wendet er sich ab, leckt sich das Blut von den Lippen und verlässt das Zimmer, ohne einen weiteren Blick zurück.. Genau wie damals, steht der Verräter an der Tür und schaut mich an. Mitleid? Abscheu? Meine Sicht verschwimmt und mir wird schwindelig. Ich bereue es nicht. Ich bin am Leben, habe ein zu Hause und Gemeinschaft. Du hingegen wirst auf ewig einsam sein. Einer Kreatur hinterher hecheln, die dir keine Nähe und Wärme schenken kann. Behalte dein Mitleid, lieber für dich selbst. Müde schließe ich die Augen, wickel mich in eine Decke ein und presse mich an den warmen Körper eines anderen Abhängigen.
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Post by Alerio on Jun 14, 2015 20:53:35 GMT
Alerio konnte erst gar nicht glauben was er da sah. Eine Weile, die fast wie eine Ewigkeit schien, stand er still da und starrte einfach nur den Körper an, der dort wie Müll auf seiner Türschwelle abgelegt wurde. Er hatte die Umgebung vergessen und es schien als wäre die Zeit einen Moment stehen geblieben. Erst als es langsam in seinen Verstand sickerte. Das er zu verstehen begann, dass hier jemand eines seiner Kinder umgebracht hatte, nicht nur umgebracht, sondern auf scheußliche Weise verstümmelt und wie Abfall abgeladen hatte, verzog sich sein Gesicht zu einer Fratze aus Wut. Wut die sich schnell mit Schmerz vermischte. Langsam ging er auf den Leichnam zu, kniete sich neben ihn und schaute in das Gesicht, dass sich im Tode zu einer Fratze aus Schrecken verzehrt hatte. Mit offenem Mund, völlig entsetzt über das was er saß, betrachtete er das Gesicht, dass er so lange nicht mehr gesehen hatte. Um Jahre war es gealtert, so viele Jahre und dennoch, konnte er ihn erkennen. Den kleinen Junge, dem er damals so viel beigebracht hatte, mit dem er durch die Nacht gezogen war, zusammen mit den anderen. So verletzlich und hilfsbedürftig waren sie gewesen. Kleine Kinder, die niemanden mehr hatten. Sie hatten zu ihm aufgeblickt und ihm vertraut....Er hatte das zu verantworten. Das war alles seine Schuld. In ihm zog sich etwas zusammen. Blutige Tränen bildeten sich in seinen Augen und verschleierten ihm den Blick. Das Tier regte sich unruhig, aufgebracht begann es an seiner Hülle zu kratzen. Wer nur hatte es gewagt, Hand an seine Kinder zu legen? Wer?! Denjenigen würde er zerfetzen!
Schnell stieg er über den Körper hinweg und stürmte ins Haus, panisch nach Pietro rufend. Doch dieser war heute Nacht nicht hier, sondern irgendwo in Platealonga mit den anderen Milizionären. Doch sein Rufen hatte einige Herdenmitglieder aufgeweckt, die nun aufgeschreckt in den Wohnraum kamen und ihn entgeistert ansahen. So hatten sie ihren Herren noch nie gesehen. Die Zähne waren gefletscht und die Fänge sichtbar ausgefahren. Blutige Striemen zogen sich über seine Wangen und ließen die bleiche Haut noch kälter erscheinen und die Augen völlig unmenschlich wirken. Ängstlich drückten sie sich aneinander und hielten Abstand zu dem kleinen Vampir, während sie ihn aus großen Augen anstarrten. „Holt ihn rein!“ schrie er sie an und deutete auf die offen stehende Tür hinter ihm. „Holt ihn rein, holt ihn rein, holt ihn rein...LOS, verdammt!“ rief er immer wieder, aufgebracht, wütend und panisch. Die Herde stolperte überfordert zu der offenen Tür. Eine der Frauen schrie entsetzt auf. „Halt die Fresse! Und beeilt euch!“ herrschte er sie an, dann packte er eine weitere am Arm. „Verschließt die Tür zum Keller. Lasst niemanden hinunter und vor allem...lasst mich nicht raus.“ Eindringlich blickte er sie bei diesen Worten an. Ein kalter Schauer lief der Frau über den Rücken und ließ sie zittern. Der kleine Vampir versuchte indes verzweifelt gegen das Tier anzukämpfen, das Tier das in seiner Wut alles zerfetzen wollte. Alles und jeden so verstümmeln wollte, wie es mit dem armen Tonino getan wurde.
Auf wackeligen Beinen folgte die Frau ihrem Herr in den Keller. Nachdem dieser sich in einen der Kellerräume, der sein Schlafraum war, zurückgezogen hatte, schloss sie die Tür und verriegelte diese von außen. Dann eilte sie die Stufen wieder hinauf und schloss auch die Kellertür ab. Währenddessen hatten die anderen die Leiche ins Haus gezogen und die Tür geschlossen. Unschlüssig, was sie nun tun sollten, standen sie im Kreis um den Körper herum und blickten ihn an. Einige zitterten und einer übergab sich. Plötzlich erklang ein unmenschlicher Schrei, aus dem Keller unter ihnen. Hoch und beinahe kreischend, erfüllt von Schmerz und Trauer, ließ er sie alle erstarren. Langanhaltend, hallte er wieder, bis aus dem Kreischen ein wütender Schrei wurde, ein Grollen, dass dennoch so jung klang. Ein seltsamer Ton, der sie tief erschütterte. Teilweise wurde das Geschrei durch knurren und dumpfen Schlägen unterbrochen, als würde sich jemand gegen die Wände werfen.
Die Frauen begannen zu schluchzen und eine viel in Ohnmacht, die Blutarmut, hatte sie so schon schwächlich werden lassen, der Schreck und die Anspannung taten ihr übriges. Einer schnappte sich eine Decke und legte sie über den schrecklichen Anblick. Dann verzogen sich die Menschen in ihre Schlafräume und schlossen sich darin ein. Zitternd, hielten sie sich fest und warteten. Warteten darauf, dass das Toben verstummte oder der Tag herein brach.
Als Pietro kurz vor Sonnenaufgang nach Hause kam, fiel ihm die Kinnlade herunter. Entgeistert betrachtete er die Leiche, die da in seinem Wohnzimmer lag und brauchte etwas länger als Alerio, um den Mann zu erkennen, doch dann sprang er sogleich auf, schaute sich hektisch um und stürmte dann zum Keller. Hastig stolperte er die Stufen herunter und sah schon, dass das Holz der Tür eingedrückt war, auch die Angeln waren ein Stück aus der Wand gedrückt wurden. Doch die Tür war noch verschlossen. Einen Moment blieb er stehen und lauschte, doch es war völlig ruhig. Schnell öffnete er die Tür und sah Alerio auf seinem Nachtlager sitzen. Das Gesicht von getrocknetem Blut verklebt, starrte der Lasombra finster an die Wand. Ohne sich zu Pietro umzudrehen sagt er mit brüchiger Stimme: „Morgen, gehen wir auf die Jagd.“
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Post by Alerio on Sept 1, 2015 15:47:42 GMT
Als Alerio erwachte, war es wie immer dunkel um ihn herum und doch erschrak er. Denn etwas war nicht wie sonst, der Untergrund auf dem er lag bewegte sich. Die Wände um ihn herum knarrten und wackelten, während sein Körper ungemütlich durchgeschüttelt wurde. Nur einen kurzen Moment weilte seine Überraschung, dann erinnerte er sich wieder daran, wo er war. Die Wände knarrten, weil sie aus Holz waren, denn er lag in einer Kiste und diese Kiste befand sich auf einem Wagen, der über einen unebenen Weg rumpelte. Mit einem Seufzen das sowohl Verdruss als auch Erleichterung aussagte, schloß er wieder die Augen. Die Methode seiner Reise war wahrlich nicht angenehm, aber notwendig, immerhin hatten sie es also über den Tag geschafft. Doch waren sie immer noch nicht da. Das Schlimmste war, dass er nichts tun konnte, außer warten. Er hasste reisen, stellte er fest, auch wenn es nicht die erste war, wurde ihm nun wieder bewusst, dass er Reisen über Tage wirklich nicht leiden konnte. Zumindest nicht so, wie er es nun tat. Er konnte nicht heraus aus dieser Kiste bevor sie da waren, musste die ganzen Nächte darin verbringen, ohne etwas sinnvolles tun zu können, außer in die Dunkelheit zu starren. Ein wirklich sehr unschönes Gefühl, eingesperrt zu sein in einen winzig kleinen Raum, stundenlang zu warten, ohne zu wissen was um einen herum geschah.Und das Geschüttel ging ihm dazu wirklich langsam auf die Nerven. Wenn er daran dachte, dass er auch wieder zurück musste, verschlechterte das seine Laune deutlich. Die einzige Unterbrechung zu der stetigen Monotonie des Geratters und Geklappers, waren die gelegentlichen Unterhaltungen zwischen Pietro und dem Fahrer des Wagens. Doch diese waren auch nicht sonderlich interessant und teilweise genauso nervig, wie die restliche Kakophonie. Pietro war sehr wortkarg und der Händler beschwerte sich immer wieder darüber die Nächte durch fahren zu müssen. Und wenn es nicht das war, war es das Wetter oder die Straßenbedingungen oder dass das Pferd sich seltsam verhielt.
Zwanghaft musste Alerio sich daran erinnern, warum er das gleich noch alles auf sich nahm. Es schien ihm sinnvoller und effizienter persönlich aufzutauchen. Informationen ließen sich einfach besser und schneller beschaffen, wenn man direkt mit jemanden sprach, als per Brief. Zumal er lange nicht mehr mit ihm gesprochen hatte. Nicht mal einen Brief hatte er geschrieben. Bis jetzt. Wie würde er reagieren? Wie ihn empfangen? Würde es die Reise wert sein? Immerhin blieben einige Angelegenheiten liegen, während er nicht da war. Er war sich immer noch unsicher, ob es wirklich klug gewesen war fortzugehen, solange das Problem, mit Niccolo noch nicht gelöst war. Es nagte an ihm, dass er da immer noch nicht weiter war. Er musste ihn finden, doch wie? Und was würde denn passieren, wenn er ihn finden würde? Wäre er bereit Rache zu üben, oder würde er tun, was „richtig“ war und ihn ausliefern? Und wenn es so käme, egal welche Option, wie sollte er dem Ravnos entgegentreten? Egal wie vorsichtig er versuchen würde zu sein, die Möglichkeit, dass es zu einem Kampf kam bestand und wenn es so käme, hätte er vermutlich wenig entgegenzusetzen, zumal er ja nicht wusste, wie gut der Ravnos kämpferisch war und was er sonst für Fähigkeiten hatte. Er fühlte sich ungenügend vorbereitet und dadurch verletzlich, dass hatte die Tat des Ravnos ihm auch gezeigt, dass er verletzlich und verwundbar war. Das machte ihn wütend, denn eigentlich war er ja gar nicht machtlos. Er hatte es durchaus weit gebracht und sein Blut gab ihm nützliche Fähigkeiten. Doch eine hatte er immer vernachlässigt. Selten genutzt. Zu viele Bedenken gehabt, die Dunkelheit könnte ihn verändern. Doch sie war nun mal ein Teil von ihm und es wurde Zeit, dass er lernte damit umzugehen. Zu verstehen und zu verbessern. Was brachte es, wenn er nicht nutzte was er hatte, es wäre Verschwendung. Doch das war alles nicht so einfach, er wollte ja niemanden verletzen oder gar töten. Es war frustrierend, auf der einen Seite wollte er die Menschen schützen, auf der anderen Seite war er jedoch auch neugierig zu was er fähig war. Er hoffte sein Ausflug würde ihm irgendwie Klarheit verschaffen. Eine andere Sichtweise auf die Dinge bringen.
Irgendwann, während seinen Überlegungen, stoppte die Bewegung des Karrens. Die plötzliche Ruhe war ungewöhnlich und schreckte ihn auf. Waren sie da? Laut klopfte es plötzlich auf die Kiste, zweimal, das Zeichen dafür, dass sie tatsächlich endlich angekommen waren. Der Deckel der Kiste öffnete sich und Pietro wisperte: „schnell.“ Geschwind kletterte er heraus und hinten von dem Karren herunter. Das Pferd wieherte unruhig. Der Händler war nicht zu sehen. Alerio entfernte sich von dem Wagen, mit dem er angereist war und versteckte sich ein paar Meter weiter. Er wartete auf Pietro, welcher wiederum auf den Händler wartete, der in der Absteige war, vor der sie hielten. Nachdem der Händler wieder herauskam, mit einem Stallburschen im Gefolge, wechselte er ein paar Worte mit Pietro und verabschiedete sich dann von ihm. Pietro folgte Alerio und gemeinsam gingen sie tiefer ins Herz der Stadt, bis sie ihr Ziel erreichten. Sie klopften an der Tür des großen stattlichen Gebäudes und ein Diener öffnete ihnen. Ohne Fragen wurden sie direkt zum Herren des Hauses gebracht. Innerlich war er unruhig, angespannt, doch äußerlich lächelte er einfach nur: „Guten Abend, Vater.“
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Post by Alerio on Oct 12, 2015 14:27:04 GMT
Wie viele Jahre war es jetzt her? 20? Er wusste es nicht einmal genau, doch es waren auf jeden Fall einige..für einen Menschen. Doch irgendwie auch für ihn. Als er sah, wie sie sich verändert hatte, wie groß sie geworden war und wie aus dem kleinen Mädchen eine junge Frau geworden war, dann wurde auch ihm bewusst, dass 20 Jahre eine lange Zeit waren. Eine lange Zeit, die aber viel zu schnell verging. Doch viel mehr noch als er, war sie erstaunt, darüber ihm zu begegnen. Die Zeit die für sie so lang schien, schien ihn überhaupt nicht berührt zu haben. Sah sie einen Geist? War das Magie? Ein Wunder oder eine Heimsuchung? Der Schock stand ihr sichtbar ins Gesicht geschrieben. Ein Gesicht, in dem er fern noch das Mädchen von damals erkennen konnte, doch eigentlich war sie mittlerweile eine Fremde. Ein anderer Mensch. Die Zeit verändert die Menschen so schnell und so sehr...
Er fühlte sich so fern dieser Frau, wie noch nie vorher. Es war eine Weile her, seit er sich überhaupt mit Menschen umgeben hatte. War es schon soweit? Hatte er es vielleicht schon verpasst? Den Moment, wo er mehr Monster als Mensch wurde? Ein leichtes gequältes Grinsen schlich sich auf sein Gesicht. Narr. Das Monster, das bist du doch schon lange! Seit die Sonne für immer verschwand. Er empfand ein bitteres Gefühl, als er die Frau betrachtete. Wir sind uns so fern... Er lächelte traurig und entschuldigte sich bei ihr, dafür, dass er sie allein gelassen hatte und belogen, aber er hatte sich immer um sie gekümmert, würde es immer tun. Sie müsse ihm nur vertrauen. Sie brach zu seinen Füßen zusammen, weinte und schrie, zum Teil aus Wut, zum Teil aus Verzweiflung, Unverständnis... Stammelte, hektisch, unverständliches Zeug, aber auch von ihrem Leben, von einem Mann und Kindern. Wieso kam er jetzt wieder? Wieso nach so langer Zeit?
Er streckte die Hand aus und berührte leicht ihr Haar. Sprach zu ihr und sie glaubte ihm. Glaubte ihm alles. Sie hatte keine Zweifel, keine Bedenken. Sie hätte ihn eigentlich hassen müssen, ihn fortstoßen, mehr entsetzt sein sollen, doch stattdessen vertraute sie ihm. Wie konnte es auch anders sein. Er hatte sie von der Straße geholt, sie alle und ihnen Nahrung und ein Dach über dem Kopf gegeben. Wie konnte sie nicht dankbar sein?
Er lächelte, sanft, fast wie ein Vater, auf die Frau hinab, die seine Mutter sein könnte und doch war sie das Kind, dass er erzogen hatte. Wie absurd. Das Lächeln verschwand so schnell, wie es kam. Welch groteske Welt, in der er lebte...existierte. Sie waren seine Kinder und doch würde immer er es sein, der ein Kind blieb, während die anderen erwachsen werden, altern...sterben... Fast schon eine Spur zu schnell zog er die Hand zurück, straffte sich.
Er gab ihr eine neue Aufgabe, eine gute Arbeit. Er tat es auch für sie, redete er sich ein, doch insgeheim wusste er, dass er sie nur benutzte. Benutzte die Menschen, wie es bereits die anderen seiner Art taten. Doch so sehr es ihn schmerzte, welche Wahl hatte er schon? Er war kein Teil mehr ihrer Welt und sie würden nie mehr auf einer Stufe stehen, so sehr er sich um sie alle bemühen woltle, für sie kämpfen wollte, so wenig würde er noch zu ihnen gehören. Er fühlte sich schlecht. Ein unechtes freundliches Lächeln zeigte sich auf seinem Gesicht. Echt genug für Albina. Er redete ihr gut zu und schickte sie dann wieder nach Hause. Zurück blieb ein trauriger bedrückender Ausdruck auf seinem Gesicht, der hinter dunklen Schatten verschwand.
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Post by Alerio on Oct 16, 2015 22:10:51 GMT
Der kleine Matteo war ein frecher Junge, ein Unruhestifter, einer der Spaß daran hatte, die anderen Kinder zu piesacken. Den Mädchen zog er an den Haaren, bis sie weinten, die Jungs verprügelte er oder schubste sie in den Dreck. Nein, er war nicht nur frech, er war gemein. Schon oft hatte er von den Betreuerinnen Schläge dafür bekommen, doch das hatte sein Verhalten nicht verändert. Viel eher hatte es es noch verstärkt. Wütend auf die Frauen, hatte er diese Wut an den anderen Kindern ausgelassen, an den Schwächeren und Kleineren, weil die sich weniger wehren konnten. Hämisch hatte er sie ausgelacht, wenn sie von dreckigem Wasser und Schlamm beschmutzt waren, weil er sie in eine Pfütze geschupst hatte. Hatte mit dem Finger auf Bettnässer gezeigt und sich lauthals über sie lustig gemacht, damit es auch jeder mitbekam. Matteo war sicher nicht beliebt in dem neuen Waisenhaus. Was schon dazu geführt hatte, dass einige Kinder wieder abgehauen waren. Etwas, das nicht mit Wohlwollen betrachtet wurde.
Matteo schlief wie jede Nacht firedlich in seinem Bett, zwischen den anderen Kindern im Schlafsaal, ungerührt und traumlos, als er plötzlich aufschreckte. Was war das? Irgendwas hatte ihn aufgeweckt. Oder hatte er doch nur schlecht geträumt? Sein Herz schlug schneller. Unsicher schaute er sich im Schlafssal um, doch dieser war dunkel und ruhig wie stets. Die anderen Kindern schliefen weiterhin tief und fest. Er legte sich wieder zurück auf sein Nachtlager und zog die dünne Decke nah an sich heran. Er schloss die Augen und versuchte einfach wieder einzuschlafen. Da bewegte sich plötzlich sein Bett, wurde ein Stück über den Boden gezogen. Sofort saß der Junge aufrecht im Bett, die Augen groß, blickte er sich erneut in dem dunklen Schlafsaal um. Doch da war nichts, nur die leisen Atemgeräusche der Kinder war zu vernehmen. Da bewegte sich plötzlich etwas in seinem Augenwinkel. Etwas huschte durch den Lichtschein der durch die Fenster fiel. Der Junge hatte seine Decke fest umklammert und bis zu seinem Kinn hochgezogen, er atmete hörbar aufgeregt. Da war es wieder! Etwas schwarzes, das zu schnell vorbeihuschte, als dass er es erkennen konnte. Dann waren da plötzlich noch andere. Seltsame dunkle Formen, größere Gebilde, die sich über Boden und Wände zogen. Augen die ihn ansahen, Krallen, die nach ihm Griffen, Zähne die nach ihm schnappten. Das Kind quiekte panisch auf und zog sich die Decke über den Kopf. Er träumte einfach nur schlecht...bestimmt...das war alles nur ein Traum...Da wurde er urplötzlich durchgeschüttelt, als sein Bett wackelte, als würde jemand von beiden Seiten daran zerren. Sie kamen, die Monster kamen um ihn zu fressen! Der Junge schrie und schlug die Arme über den Kopf zusammen, und sprang schlussendlich doch aus dem Bett.
Sogleich wurde die Tür aufgerissen und eine Frau mit einer Kerze in der Hand kam herein und sah den Jungen sträflich an. "Was soll das Geschrei?" herrschte sie ihn schon fast an, während der Junge heulte und schrie und sich auf dem Boden zusammengekauert hatte. Unter seinem Weinen zeigte er auf die Wände und Boden und jammerte etwas von Monster und Schatten, doch da war nichts mehr. Der Schlafsaal sah aus wie eh und je. Nur hinter der Frau schlüpfte eine kleine dunkle Gestalt aus der Tür. Der Junge zog seine Knie fest an sich heran und wimmerte. Plötzlich lachte eines der Kinder auf und zeigte auf sein Bett. Da hatte er sich vor Angst in die Hose gemacht. Beschämt versuchte er sein Gesicht hinter Knien und Arme zu verbergen. Monster...jammerte er verzweifelt...da waren Ungeheuer, versuchte er sich zu rechtfertigen, während sie ihn auslachten. Warum nur glaubte ihm niemand? Er hatte nicht geträumt!...oder doch?
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