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Post by Il Narratore on Oct 19, 2015 18:18:04 GMT
An den Iden war Angelique geladen worden, sich der Prinzessin Aurore vorzustellen. Der Allesfresser, bekannt in Stadt und Land, hatte es ihr vor kaum zwei Tagen höchst selbst mitgeteilt. Dennoch hatte ihr Majestät darauf bestanden, dass er ihre notdürftige Zuflucht außerhalb der Stadt ausfindig machte und ihr eine Woche vor dem Termin eine ordentliche Einladung überbrachte. Sie schien wohl besorgt über die Menge an Malkavianern, die sich in den letzten Jahren in ihrer Domäne niedergelassen hatten. Oder aber sie fürchtete weitere Verwicklungen zwischen den Malkavianern und...übermütigen Zeloten, wie es vor kurzem erst vorgekommen war. Eine ordnungsgemäße Einladung wurde der Burgunderin jedenfalls von Luccio Il Onnivoro selbst überbracht und ihr Diener mochte bei der Übergabe am hellichten Tage durchaus verstehen, warum dieser fette Gärtner einst die Stadt im eisernen Griff gehabt hatte. Eine Rüstung aus schuppigem Eisen, groß genug für zwei gestandene und muskulöse Männer, umspannte den feisten Leib. Einen Helm so groß wie ein Kessel trug er auf dem Kopf und ein Schwert so breit wie eine Schaufel am Gürtel. Er ritt einen weißen Hengst, der seiner Farbe zum Trotz der Hölle zu entstammen schien: Stämmig genug, um die sicherlich halbe Tonne Fleisch und Eisen auf seinem Rücken zu tragen, kräftig genug für einen Galopp und bissig wie ein schlecht dressierter Köter. Das Tier und sein titanischer Reiter tänzelten einige Male um den Eingang des Versteckes herum, ehe der Allesfresser eine schmale Rolle Pergament überreicht. Seine Stimme klang dumpf unter dem Helm, den er nicht absetzte als er sagte: "Für eure Herrin, Knecht. Und vergesst die saub'ren Kleider necht." Dann galoppierten er und sein Ross wieder von dannen.
Die Nachricht selbst war völlig belanglos und wiederholte lediglich, was Luccio ihr bereits mündlich versichert hatte. Dass sie bis zu den Iden willkommen und Gast der Domäne wäre, dass die Stadt als Jagdgebiet bis zur Audienz untersagt wäre und dergleichen Formalitäten mehr. Es gab also durchaus Grund zu der Annahme, dass die Nachricht nicht die eigentliche Botschaft gewesen war, sondern vielmehr ihre Übergabe.
An den Iden warteten also die Wachen der weißen Prinzessin gespannt an ihrem gewohnten Posten, immer wachsam und immer bereit, einen Gast zu empfangen. Man muss es ihrer Disziplin durchaus hoch anrechnen, dass sie dabei keine Wetten über das Erscheinen des fremden Mädchens abgeschlossen hatten - jedenfalls nicht vor der restlichen Mannschaft - und sich mit einer simplen Diskussion über ihr mögliches Erscheinungsbild zufrieden gaben. So beschissen wie beim letzten Mal, behauptete der eine, in edelste Kleidung gehüllt der andere. Ein dezenter Mittelgrund war bei keinem der beiden zu finden.
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Post by Angelique on Oct 21, 2015 6:35:20 GMT
Angelique hatte sich lange Gedanken gemacht, wie sie vor der Princeps erscheinen sollte. Byzantinischer eitler Tand, erkauft mit Rogers Geld? Ein schlichtes Büßergewand mit Asche auf dem Haupt? Es war doch eigentlich gleich, war ihr erster Eindruck doch sowieso ein ruinöser gewesen. "Hole dir mit eigener Hand nicht mit Mammon, wonach es deinem Herz verlangt," wisperte der Spiritus in ihr Ohr. Und so verbrachte sie viel Zeit, während der treue Roger versuchte, Fuß zu fassen in Genuas Peripherie, das Richtige zu finden.
Und so kam es, dass an den Iden Roger vor sich auf seinem Kriegsross die zierliche Angelique in exotischer Tracht unter dem weitem Mantel an der Villa der Prinzeps ablieferte. Es hatte, als sie die Inspiration traf, etliche Mühe gekostet eine entsprechende Kleidung zusammen zu stellen. Aber jetzt glitt sie elegant aus dem Sattel vor Roger und kam auf sarazenisch eitlen vergoldeten Sandalen lautlos auf dem Boden auf. Weiß war ihr Gewand und auch skandalös mit dem kurzen Faltenröckchen und den gekreuzten Brusttüchern unter dem Schmucksteinpektoral, die ihren Bauchnabel frech freiließen. Ihre nackten Arme waren mit verzierten Reifen versehenden. Ihr Schmuck, blau und gold, zeigte das Auge der Isis (deren Darstellungen sie für die Jungfrau Maria hielt) und immer wieder das Bild einer Katze. "Versuche die Nacht sein, die der Morgen überstrahlt. Trage das Anlitz des Engels des Ägyptenlandes, das die römischen Wölfe unterworfen haben," riet ihr der Spiritus.
Also schaute sie zu den Wächtern unter ihren dunkeln Haaren (ewig hatte das Kämmen gedauert!) aus von Kajal zum Isissymbol (sie hielt es für das Allsehende Auge des Herrn) geschminkten Augen hervor. Für einen Moment durch die auspizische Kraft des Blutes blitzenten sie zu katzenhaftem Schimmer auf in unmenschlicher geheimnisvoller Farbe.
Mit fließender Bewegung reichte sie die Einladung den Wächtern. "Eure Herrin erwartet mich."
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Post by Il Narratore on Oct 23, 2015 20:13:17 GMT
Die keineswegs verdutzten Wachen, die schließlich seit Stunden im Wind und der Dunkelheit froren, um Angelique zu begrüßen, salutierten. Sie schlugen sich die schweren Handschuhe gegen die Brust, traten zur Seite und stießen die Speerenden in die Erde. "Ihre Majestät heißt euch willkommen", riefen sie und ließen das ungleiche Paar passieren.
Erst, als sie ein gutes Stück des weißen Kieswegs zur eigentlichen Villa hinauf genommen hatten, hörten sie hinter sich stummes Fluchen und einen freudig klingelnden Geldbeutel, als der Wetteinsatz den Besitzer wechselte. Der weitere Weg verlief ohne Irritationen. Ein leichter Wind ging, doch der Sommer war noch nicht gänzlich tot und die Luft wohlriechend und warm - was zumindest den Menschen erfreute. Die verstreuten Wirtschaftsgebäude waren in bester Ordnung gehalten, die Scheunen, Werkstätten, Ställe und Gesindehöfe aber ausnahmslos verschlossen oder leer. Das einzige Licht in der geradezu gespenstisch stummen Anlage stammte von der Villa selbst, die aus mehreren Wunden in die Nacht hinaus blutete.
Am Ende des Weges befand sich eine kleine, weiße Marmortreppe, die zu einem schweren Eichenportal hinauf führte. Dieses öffnete sich, noch ehe Angelique Gelegenheit hatte, sich umzusehen oder anderweitig auf sich aufmerksam zu machen. Hinunter gestiefelt kam der Mann, der sie das letzte Mal bereits begrüßt hatte. Diesmal allerdings trug er wieder jene Kluft, mit der ihr Diener ihn vor einigen Tagen gesehen hatte: Eine schwere Lorica Squamata, fein verziert am Saum und von der Größe ausreichend für zwei Männer, ein Helm groß wie ein Kochtopf in der linken Armbeuge, ein großes Schwert am Gürtel. Er bot eine fast lächerliche Figur mit den massiven Fettpolstern, die er sich angefressen hatte, und dem martialischen Äußeren. "Sei willkommen", rief er und breitete den freien Arm aus, "Tausendfach willkommen im Namen ihrer Majestät, lieber Gast. Tretet ein und wärmt euch, meine Herrin erwartet euch bereits." Wie als Nachgedanke, als unnötige und eigentlich selbstverständliche Erwähnung schob er noch nach: "In dieser Richtung finden sich die Ställe, dort kann euer Diener das Pferd füttern und ruhen lassen, bis eure Audienz beendet ist."
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Post by Angelique on Oct 24, 2015 12:04:33 GMT
Angelique verbeugte sich artig und erwiderte: "Sei bedankt, oh Höchster unter den sterblichen Vasallen der Princeps. Mögen die Segenswünsche der Herrin taudendfach vergolten werden!" Zu Roger gewandt, sagte sie: "Geh, wie der Major Domus dir geheißen hat, versorge dein Pferd und erwarte meine Rückkehr!"
Danach folgte sie dem Omnivorus und hoffte, dass Benedettos erläuternden Worte über die Princeps ausreichten, dieser keinen Grund zu geben, sie gepfählt der Sonne zu überantworten.
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Post by Il Narratore on Oct 25, 2015 11:36:02 GMT
Der Allesfresser hob bei diesen Worten schlicht eine Augenbraue und schnaubte, durchaus verächtlich. Dann jedoch wandte er sich um und stieg ohne große Eile die Stufen zur Villa empor. Das Innere der Villa blendete den Geist. Marmorne Säulen, kunstvolle Mosaike, Wandteppiche aus Persien - alles ruhiger und geschmackvoller Schmuck einer geradezu gespenstischen Stille. Das Wasserbecken im Atrium lag ruhig da, von keinem Lüftchen oder Regenschauer bewegt spiegelte es den Mond. Dahinter, am anderen Ende der Halle vom Eingang aus gesehen, befand sich ein schwerer, schwarzer Vorhang, hinter dem es wohl zum Audienzsaal ging.
Gemächlich ging Luccio mit der Malkavianerin an seiner Seite den Säulengang entlang, schien sich dabei alle Zeit der Welt zu lassen. "Die Wartezeit ist euch hoffentlich nicht zu kurz geworden? Einige Vasallen ihrer Majestät lassen es sich üblicherweise nicht nehmen, sich wie die Moskitos auf neuen Besuch zu stürzen. Das kann schnell überwältigend werden", sagte er in seinem wohl üblichen Versuch, den langen, langen Weg mit einer Plauderei zu verkürzen.
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Post by Angelique on Oct 26, 2015 7:49:32 GMT
Angelique folgte staunend durch das prachtvolle Gebäude, das durch den kalten Marmor und die Stille mehr noch als Bruder Benedettos düstere Klostergemäuer einem Grabmahl glich. Nur dass sie hier eine tiefe Traurigkeit verspürte wie jemand, der nach langer Zeit das Grab seiner Verwandten besuchte. Die Welt hatte sich schon lange weitergedreht, aber hier wurde ein Ideal gelebt, dass es so wahrscheinlich nie gegeben hatte. Es war, als würde ein alter Mensch sich erinnern, wie es zu seiner Kindheit war, und dabei sich ein überhöhtes Bild malen, das allen Schmutz und alles Unvollkommende ausblendete. Aber sie behielt ihre Gedanken für sich, vermutete jedoch, dass jemand, der immer an diesem Ort in der Vegangenheit lebte, sich nicht an der Gegenwart erfreuen und keine Visionen für die Zukunft haben mochte.
Die Höflichkeit gebot es, auf die Belanglosigkeiten des Omnivoren zu antworten, während sie sich der Audienzräume näherte: "Nein, in der Zeit habe ich mich nicht in der Stadt aufgehalten. Einzig der Einladung des guten Benedetto folgte ich, um an der Bibliothek und Weisheit seines Klosters teilzuhaben."
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Post by Il Narratore on Nov 3, 2015 18:39:03 GMT
Der Allesfresser wirkte für einen Moment, als wollte er etwas sagen...doch dann schüttelte er schlicht den Kopf und schritt weiter. Ungerührt und ohne Eile marschierte er stumm auf die andere Seite des Atriums zu. Vielleicht wurde er noch ein wenig schneller. Am schwarzen Vorhang angekommen, überließ er sich kurze Zeit der Betrachtung des Kindes. Dann aber schlug er schlicht die Hacken zusammen und intonierte, ohne große Vorwarnung:
"Ihre Majestät Aurore, Prinzessin Genua, Ahnin vom Blut der Könige. Kind des Geoffrey le Croise, Ahn vom Blut der Könige. Kind des Alexandre de Paris, Ahnherr vom Blut der Könige, Kind des Ventru, erster seines Blutes. Kind des Enoch, des Weisen. Kind des Kain, des Vaters."
Dann öffnet sich der Vorhang.
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Post by Angelique on Nov 3, 2015 21:41:10 GMT
Angelique überlegte scharf. Würde die Princeps das byzantinische Protokoll bevorzugen? Wohl weniger, hatte sie doch die byzantinische Besatzung nicht behalten, sondern den Franken die Herrschaft gegeben. Und letztere folgten nicht dem bürokratischen Ritual der Romanoi. Nein, fürwahr wies der Mummenschanz ihrer Diener auf das altrömische Gehabe hin, von dem ihre Erzeugerin berichtet hatte, das es noch unter Marcus Aurelius Sitte war, den Herrscher nicht als Bittsteller sondern als Gleichen von hohen Ansehen entgegenzutreten.
Sollte sie das tun? Immerhin war die Princeps nur als selbstgewählter Spott auf die alten Sitten Princeps inter Pares und verlangte nach totaler Unterwerfung wie alle Dämonen, die unter der Hybris des Hochmuts litten. Alle, die sie getroffen hatte, hatten dies deutlich gemacht: Die Princeps folgte den Ritualen der Despoten des Ostens.
Aber wie sollte Angelique jemals wieder ihrer Herrin gegenüber treten, die soviel über die goldenen Nächte ihrer eigenen Erschafferin erzählt hatte, wenn sie jetzt all diese Traditionen verriet? Wenn die Princeps verlogene Heucheleien bevorzugte, sollten die Sykophanten doch in der Malkavianerin Asche knien, wenn es der Herrscherin danach verlangte!
Angelique dagegen nahm stehend Haltung an, neigte respektvoll den Kopf, schaute aber in Richtung des Vorhangs. Dann hob sie die Hand zum Saluto Romano, während sie die andere vor die Brust legte.
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Post by Il Narratore on Nov 9, 2015 18:20:44 GMT
Der Ghoul betrachtete mit Entsetzen, wie das Kind stehen blieb. Er eilte vorwärts, griff mit der Hand und nach dem Gör, hielt bereits die leere Scheide seines Schwertes in der Hand, um ihre Knie zum nachgeben zu zwingen - nur eine Geste der Prinzessin hielten ihn davon ab.
Vorsichtig trat der Allesfresser zurück, zwischen die Säulen vor dem Becken des Atriums. Sein Blick wanderte von der Malkavianerin zu seiner Herrin, die sich langsam erhob. Ihre Tunika fiel ihr bis auf die Oberschenkel, ihr Palla glitt anstandslos auf ihren Thron hernieder. Sie warf sich mit rascher Geste das Haar über die Schulter auf den Rücken und schritt langsam das Podest herunter.
"Du bist dumm", sagte sie schlicht. Sie sprach Latein, ein vulgäres, verkommenes Latein, das in keinem Buch zu lesen und in keiner Stube zu finden war sondern nur auf den Straßen und in den Gossen der alten Zeiten. Doch Ihre Stimme klang wie Honig, umscheichelte die Gehörgänge und die Seele wie eine Geliebte. "Alle deiner Art sind verrückt - was ich toleriere, da bisweilen Einsicht in eurem Gefasel liegt. Der Rest konnte sich aber bisher benehmen. Du musst also dumm sein, denn Verrücktheit unterscheidet dich nicht von den Anderen. Du hälst dich also für mir ebenbürtig?"
Ihre nackten Füße verursachten keine Geräusche auf dem steinernen Boden, während sie ohne große Eile zu dem Kind hinüber spazierte. Der Blick aus ihren klaren, blauen Augen traf die Malkavianerin, spießte sie auf wie ein Insekt. Ihre Gedanken, ihr Wesen, ihre unsterbliche Seele - alles lag offen vor dieser Frau, die tief und immer tiefer in das Allerheiligste des Kindes eindrang. Alle Türen stieß sie weit auf und das Kind aus Arles spürte tief in ihren Gedanken, wie es rumorte, wie die Ahnin auf keinerlei nennenswerten Widerstand stieß und die tiefsten Räume und Verliese aufschloß. Angelique dachte Worte, dachte an eine Erwiderung irgendeiner Art und wollte sie aussprechen und sich rühren, wollte vielleicht fliehen...doch sie fand ihre Muskeln unnütz. Sie gehorchten ihr nicht, waren unverrückbar wie Berge an ihren Platz gesetzt und keine noch so große Anstrengung vermochte sie zu bewegen. Der Blick der Ahnin hielt sie in Starre gefangen. Ein wacher Geist, hilflos gefangen in einem toten Körper. Aurore lächelte, als hätte sie einen ihr altbekannten Witz enthusiastisch von einem Jüngling vorgetragen bekommen, der ihn für seine eigene Erfindung hielt. "Ich vergaß", flüsterte sie. "Der Anblick einer Göttin hat diese Auswirkung auf niedere Kreaturen..." "Antworte", befahl sie, ihre Stimme plötzlich kalt wie Eis.
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Post by Angelique on Nov 9, 2015 22:01:41 GMT
Angelique erkannte den Widerschein der Ersten, der göttlichen Lillith, der ersten Frau Adams, in dem gefallenen Engel vor sich, der sich als Göttin sah. Welch düstere Rache die Herrin der Nacht für all die machtgierigen Männer, die als Priester, Mönche und Krieger glaubten zu herrschen, ersonnen hatte und diesen dunklen, wunderschönen Schrecken auf sie entfesselt hatte. Angelique war mit einem Mal ganz ruhig, als ihr Geist nackt und bloss unter den Höllenrädern dieser Augen frei lag und sie wie Lots Frau zur hilflosen Salzsäule erstarrt war. Sie wusste nicht, was für ein Gefühl es war, das in ihr aufkeimte wie eine schwarze Rose, denn sie war in die Nacht geholt worden, lange bevor sie Liebe erfahren hatte. Diese Frau war wahrhaft die erste in Genua, die sie als Perfecti erkennen konnte. "Nein," antwortete sie ergriffen auf die Frage des bezaubernden Dämons.
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Post by Il Narratore on Nov 16, 2015 19:45:14 GMT
Aurores Gesicht kam näher. Sie musste sich herabbeugen, um dem Mädchen näher zu kommen. Zu nahe, viel zu nahe, als dass die Anwesenheit der Ahnin nicht unangenehm gewesen wäre. "Sehr gut", flüsterte die Ahnin, ihre Fänge, die sie bleckte, nur wenige Handbreit von Angeliques bleichem Hals entfernt. "Du tust gut daran, das niemals zu vergessen", sagte sie und ihre Worte trieben Furcht in Angeliques Herz. Ehrlose, unberechenbare Furcht, die den Teufel in ihr aufpeitschte und über alles erträgliche Maß hinaus wild machte. Die ihn weglaufen, rennen, fliehen lassen wollte. Allein: Er konnte nicht. Noch immer gehorchten die Muskeln des kindlichen Körpers nicht dem alten Geist, noch immer hielten die Augen der Prinzessin die Neugeborene in Starre. Und ihre Seele wand sich in den fleischlichen Ketten, tobte, schrie vor Panik, vor Angst. Die Fänge so nah, die Herrin so mächtig. Ein letztes Mal brannte sich der Blick der Prinzessin in Angeliques Gedächtnis. Zeit verrann, ohne dass einer der Unsterblichen Notiz davon genommen hätte. Unfähig, sich zu bewegen oder zu sprechen und auf die reine Wahrnehmung ihrer Hilflosigkeit reduziert, spürte die Malkavianerin, wie die Prinzessin sich langsam aus ihrem Geist zurückzog. Sie hatte wohl genug gewühlt.
Ohne große Eile löste die Prinzessin Genua ihren Blick, drehte sich nonchalant um und spazierte zu ihrem Thron zurück. Sie ließ sich darauf nieder, ihre Haltung königlich, etwas steif, und ablehnend. "Dein letzter Versuch", kommentierte sie trocken und entließ Angelique mit einem Augenaufschlag aus ihrem Gefängnis. Wenn es nicht unmöglich gewesen wäre: Angelique hätte geglaubt, ihr Herz würde rasen.
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Post by Angelique on Nov 17, 2015 13:20:30 GMT
Als der enorme Druck wich, bäumte sich der Dämon in Angelique kurz auf, aber die Mutlosigkeit, die über die junge Kainitin geflutet worden war, glich einem Morast der Verzweiflung, in welchem jedes rebellische Aufbegehren versank.
Wie von Zentnergewichten gezogen, sank sie auf die Knie und senkte den Kopf , während blutige Tränen auf den Boden tropften. Wahrlich dieser gefallene Engel war wie ein Gott der Heiden. Kalt wie Marmor, blind wie die steinernen Augen der vergessenen Götzen Roms für die Welt, die sich gewandelt hatte, ein trauriger Torso, ein Relikt heidnischer Tage, vor dem nicht mal mehr die Tauben noch Respekt hatten. Und so weinte Angelique für diese verlorene Seele, der einst so viele huldigen und die zu störisch war, die unendliche Gnade des Herrn anzunehmen und dafür reich mit den Hexengaben des Widersachers belohnt worden war. Könnte sie ihr doch helfen! Aber die Besessene hatte klar gemacht, wie wenig andere ihr bedeuteten. Wehe den Kinder Seths dieser Stadt, die ihr und ihren Teufeln noch hilfloser ausgeliefert waren als Angelique!
"Gib Gott, was Gottes ist, und dem Kaiser, was des Kaisers ist," flüsterte ihr Engel ihr zu. Und so kniete Angelique demütig vor der Mächtigen im Staub ihres Kuriosenkabinetts verblasster Größe und harrte der Willkür, die der weibliche Nero ihr zugedenken würde.
Während sie so kniete, begriff die tief gläubige, wenn auch ketzerische Malkavianerin, was sie da eigentlich machte. Die Schnittmenge der Eckpfeiler ihres verdrehten gnostisch-dualistischen Glaubens, die sie immer noch mit der Mutterkirche gemeinsam hatte, schoss durch ihre Seele wie ein brennender Pfeil:
„Du sollst dich nicht vor anderen Göttern niederwerfen und dich nicht verpflichten, ihnen zu dienen. Denn ich, der Herr, dein Gott, bin ein eifersüchtiger Gott: Bei denen, die mir Feind sind, verfolge ich die Schuld der Väter an den Söhnen, an der dritten und vierten Generation; bei denen, die mich lieben und auf meine Gebote achten, erweise ich Tausenden meine Huld.“
Degenerationscheck: 4 Würfel gegen Schwierigkeit 10 (6 + Schwere der Sünde im Vergleich zum Pfad-Level: 4) Y4NWvpn21-101-101-101-10
1-10·1-10·1-10·1-10
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Post by Angelique on Nov 20, 2015 13:04:01 GMT
Angelique verstand die Prüfung, die der Herr ihr auferlegte. Für einen Moment hatte sie alles verraten, wofür der christliche Glaube stand, und es gab nur eine Möglichkeit, das wiedergutzumachen:
Furchtlos stand sie auf, um den Weg zu gehen, den so viele Märtyrer vor ihr gegangen waren. Das Knie vor einem falschen Gott zu beugen und ihm zu huldigen, war den Zorn des einzigen Gottes nicht wert.
Sie überlegte, ob sie dem vampirischen Diokletian sagen sollte, dass er nicht gegen den Wandel der Zeiten siegen konnte, aber sie wusste, dass das nicht helfen würde, sonst hätte die Ventrue schon vor Jahrhunderten zumindest zum Schein das Christentum übernommen oder eine christliche Marionette vorgeschoben. So also stand sie da und erwartete die Vernichtung.
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Post by Il Narratore on Nov 25, 2015 20:35:58 GMT
Die Vernichtung folgte nicht. Jedenfalls nicht von Hand der Prinzessin, nicht heute Nacht.
Ihre Augen hatten sich zwar verengt, als Angelique ungebeten aufstand, ihre Stirn sich gerunzelt und eine Augenbraue sich erhoben. Aber sie hatte ihren Ghoul mit einem Fingerzeig wieder auf seinen Platz beordert, wo er nun stumm ausharrte, den wachsamen und erbosten Blick auf die gedemütigte Malkavianerin gerichtet. Eine gewisse Schadenfreude war ihm nicht abzusprechen, denn er selbst hatte wohl bereits einige Male diese Tortur hinter sich gebracht.
"Du vergießt Blut in meinen heiligen Hallen", verkündete sie dann das offensichtliche. "Wenn ich es nicht besser wüsste, ich dächte du legst es darauf an, mich zu provozieren." Alle sagenumwobene Wärme und aller Sonnenschein war aus ihrer Stimme gewichen, hatte der nun bekannten, schneidenden Kälte Platz gemacht, über die nur ein Abkomme des Königs verfügte, der einige Dutzend seiner Liebsten in den Tod hatte gehen sehen. Eine Kaltschnäuigkeit und Arroganz, die - einmal entfesselt - die ganze Welt sich Untertan machte, einfach indem sie es so behauptete. "Wie heißt du?", fragte sie barsch und ohne Liebe, "Und woher kommst du?" Welcher Scharlatan von Herrscher hat eine wie dich in die Welt gelassen?", hätte sie eigentlich fragen sollen, aber zumindest die Prinzessin schien nun Wert auf ein metikulöses Protokoll zu legen.
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Post by Angelique on Nov 25, 2015 21:30:29 GMT
So als sei es nun eine vollkommen neue Situation mit neuen Akteuren, lächelte das verrückte Mädchen froh, als aller Falsch aus den Zügen des Götzen wich und die Dämonin in grimmer Fratze ihre dunkle Natur offenbarte. Allerdings war sie etwas enttäuscht, dass der gefallene Engel ihr das höchste Opfer für den Herrn versagte.
Angelique verneigte sich formvollendet, wie es an den Höfen der theodisken Ventrue üblich war.
"Ich werde Angelique genannt und bin aus dem Geschlecht des Malkav. Veronique von Arles zeugte mich. Vielleicht kennt ihr sie noch unter dem alten Namen Apollonia. Sie ist das Kind vom Orakel der Lombardei, das Euch bekannt gewesen sei, so sagte meine Herrin. Ich komme aus der Bischofsstadt und dem Königssitz Arles. Prinzregent Fernand, der marmorne Löwe von Burgund, sprach mich frei und erlaubte meiner Herrin, mich zu Euch zu schicken. Sie sagte, Ihr hättet viele schönredende Diener, die Euch fürchteten, aber wenige, ehrliche Getreue, die Euch wie einst Jakob dem Pharao reinen Wein einschenkten."
Wieder schlug sie alle Warnungen in den Wind, als sie fortfuhr: "Lasst mich eine solche Getreue sein, Fürstin Genuas. Ich kenne Euch nun und schätze Eure Ehrlichkeit und Euren gewaltigen Schrecken. Ich will Euch nicht bekehren oder gar bekämpfen, sondern wie einst Jakob dem heidnischen Pharao und dem Ägyptenland ein treuer Helfer sein, damit Genua gedeiht. Ihr braucht mich nicht, Herrin, aber meine Verwandten und die Sterblichen vielleicht, denn Ihr seid zu groß für sie."
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