|
Post by Fabrizio on Dec 13, 2015 17:32:03 GMT
Plötzlich verwandelte sich die Umgebung der Hafenmauer an der sie standen in einen dunklen Ort, das Licht schien zu weichen, es war Leben in die Schatten gekommen, die sich unaufhaltsam und doch nicht greifbar in ihrem Wesen auf das kleine Mädchen zuschoben. Die vertrauten Schatten, der Holzmasten und Schiffe in den leichten Wellen, die Schatten der Häuserzeilen, des Kirchturmes - sie alle begannen sich zu bewegen, sich zu brechen und neu auszurichten um Angelique herum. Der Ort an dem sie standen wurde zum Kernschatten aller Dinge.
Fabrizio lachte kurz auf, blechern und unheimlich. "Mach dich nicht lächerlich. Dafür ist es längst zu spät."
Mehr sagte er nicht zu den Worten Moses, er hatte stattdessen die Schatten sprechen lassen.
---
Schattenspiele 1
|
|
|
Post by Angelique on Dec 13, 2015 18:03:18 GMT
Und die Schatten sprachen zu Angelique: "Siehe, die Grube, Kind," meinte der Schatten, der aussah wie der Umriss ihres Vaters. "Schau," meinte der grotesk verzerrte Leib des lüsternen Pfarrers ihr Jugend,"die Diener der Schatten, die sich für seinen Herren halten." Der Schatten ihre Mutter, der zuckend aus der Mitte des Pfarrers entsprang, grinste und hauchte: "Närrin, die Dunkelheit war lange vor dem Lichte." Und zärtlich glitten die langen Schattenfinger ihres eigenen Schatten obszön über ihren Leib und während ihre Schattenzunge über ihre Wange glitt, keuchte ihre Anima ihr zu: "Nie wirst du mich bezwingen. Ewig werde ich dir folgen, denn ich bin untrennbar Teil von dir."
Mit einem schrillen, entsetzten Schrei warf Angelique sich herum und rannte, rannte um ihr Leben. Doch es nützte nichts. Jedes Mal, wenn sie sich gehetzt umsah, war ihr grinsender Schatten immer noch bei ihr.
|
|
|
Post by Fabrizio on Dec 13, 2015 18:32:56 GMT
Während die Schatten offenbar bis in ihre Seele gekrochen waren, waren die unheimlichen Verzerrungen am Hafen einfach wieder ohne Spuren verschwunden. Ruhig lag der nächtliche Hafen wieder da wie zuvor und wie immer.
Fabrizio blickte dem schreiend davonrennenden Malkavkind nur kalt hinterher. Schade, sie war dann wohl doch nur ein verrücktes Mädchen. Ziemlich unnütz - außer man wollte sie jemandem auf den Hals hetzen. Gerne hätte er sie jetzt noch ins Elysium geschickt, das würde eine Szene für die Götter werden. Zum anbeißen. Innerlich amüsierte er sich düster. Die fliehenden Ratten hatten sie zu ihm geführt, und eben jenen floh nun auch sie nach.
|
|
|
Post by Angelique on Dec 14, 2015 21:47:39 GMT
Der Schrecken der christlichen Seefahrt dachte, er hätte in dieser Nacht die ach so harmlose und nutzlos scheinende Malkavianerin das letzte Mal gesehen. Aber dann thronte sie einige Zeit später auf enem nahen Dachfirst einer menschenleeren Gasse, eine tote Seemöwe in den Händen und merkwürdige Zeichen mit dem Blut des Tieres auf den böckelnden Putz des Hauses schmierend. Wie ausgewechselt schien sie ihm plötzlich und voller Unbehagen starrte der Korsar der Finsternis auf die Seemöwe. Es brachte Unglück, so wusste jeder Seemann, wenn Möwen getötet wurden. Und auch die Symbole wirkten nicht vertrauenserweckend.
Mit übelsten Gossendialekt der Provence sprach sie ihn fast schnurrend an: "Sei ein zweites Mal gegrüßt, Dibbuk der Skiá! Mit dem wohlwollenden Prophezeiungen des Himmels wolltest du nicht fahren, also spreche ich dir jetzt wahr mit der Anima, die mit dem Pfuhl vertrauter ist, dessen Schatten du befehligst und dem dein Erschaffer deine Seele verpfändet hat."
Das kleine Mädchen strich sich mit dem Blut ins Gesicht, so dass es fast wie ein Auge inmitten der Stirn wirkte. "Stell deine Fragen, wenn du die Eier in der Hose hast, die Antworten zu ertragen!" Fast dämonisch blitzten ihre Augen, als sie auf ihn herabstarrte, während sie obszön das Blut von den Fingerspitzen leckte.
|
|
|
Post by Fabrizio on Dec 14, 2015 23:35:53 GMT
Tatsächlich hatte Fabrizio das seltsame Mädchen schon fast wieder vergessen, als er in Begleitung seiner beiden Schiffsoffiziere, und mit diesen im leisen Gespräch vertieft, besagte Gasse betrat.
Abrupt blieb er stehen als er die kleine blutige Gestalt auf dem Dach bemerkte. Er taxierte ihre Erscheinung, mit dem toten Seevogel und dem Blutgeschmiere, einen langen Moment sehr aufmerksam und dann irgendwie nachdenklich. Seine Begleiter waren etwas unruhiger und blickten sich angespannt um. Sie hielten bereits die Griffe der langen Messer umklammert, die sie unter der Kleidung verborgen hatten. Dann erst wieß Fabrizio die Begleiter wortlos an, am Eingang der Gasse zu warten, während er sich bedächtig auf Angelique zubewegte - bis sie ihn schließlich derart dreckig ansprach. Allerdings verstand er davon nur etwa jedes zweite Wort, zu fremd war ihm ihre Sprache und ihr übler Dialekt sowieso.
Dann strich sie sich das Blut ins Gesicht, das Orakel vom Dach.
"Die Heilige ist zur Hexe geworden, du bist recht wandelbar, das gefällt mir." Es fiel ihm nicht schwer ihre absurd menschlichen Beleidigungen zu übersehen und absolut ehrlich zu klingen mit seinem Lob, welches klang wie zu einem gelungenen Schauspiel.
Dann aber beschloss er, ihr tatsächlich noch eine Gelegenheit zu geben sich zu beweisen. "Und nun bin ich gespannt auf deine Fähigkeiten, Orakel."
Er überlegte kurz. "Ich werde dir drei Fragen stellen. - Beginnen wir mit etwas einfachem. Das Blut der Möwe sollte dir sicherlich dafür Gewissheit gebracht haben."
Fabrizio begegnete ihrem dämonischen Blick recht unbekümmert. Was war sie wohl für ihn, der die Schatten der lichtlosen Tiefen tanzen ließ? Nur ein kleines Mädchen das mit toten Tieren spielte und auf dem Dach herumkrabbelte? "Die erste Frage beschäftigt sich mit den Launen der immer wiederkehrenden Natur. Schon immer wollten die Menschen so etwas erfahren, eine leichte Übung also für ein Orakel: Wann werden dieses Jahr wohl die Schweren Stürme auf See einsetzen?"
|
|
|
Post by Angelique on Dec 15, 2015 8:07:46 GMT
Angelique grinste wölfisch: "Wirklich, eine leichte Frage also? Gilt das Revier zwischen Sardinien und dem Stiefel nicht seit alters her als das gefährlichste und unberechenbarste der Welt? Meide diesen Herbst die Gewässer um Korsica oder mein Mystral zerschmettern, denn er ist zornig über dein Schattenspiel! Also reffe die Segel und lass rudern, wenn du deinem Fürsten der Tiefe nicht begegnen möchtest, solltest du dort reisen wollen. Im Süden sollst du dagegen den Libeccio mehr als den Scirocco fürchten, denn Africas Wind ist sanft zu seinen Götzendienern, aber das Meer sucht die Sünder zu tränken und macht keinen Unterschied, ob sich unbeschnitten oder nicht an Weibern und Schiffjungen vergangen wird. Aber sollten deine Leute frei von solcher Sünde sein, droht dir keine Gefahr. Wenn nicht, ertrinken kannst du ja nicht, nur zerdrückt werden von den Schatten der Tiefe."
|
|
|
Post by Fabrizio on Dec 15, 2015 20:28:26 GMT
Der Kapitän hatte ihr interessiert zugehört, andere Regungen zeigte er nicht wirklich dabei.
Das war garnicht schlecht, so sein Reümee. Ganz unnütz war sie also doch nicht, kannte die Grundlagen, zumindest auf diesem ihrem Gebiet. Er versuchte sich das Wichtigste zu merken. Korsica zu segeln, meiden im Mystral. Günstiges Wetter in Africa. Das mit den Sündern ignorierte er. Wenn ihm das Wissen nicht nützte, dann könnte er es ja trotzdem zumindest überprüfen.
Langsam nickte Fabrizio schließlich. "Du bist nicht dumm, Wetterhexe. Wir werden sehen, wie der Wind sich wendet."
Dann blitzte auch sein Blick wölfisch auf, als er weiter sprach. "Die zweite Frage. Befasst sich mit meiner ganz persönlichen Zukunft." Das sollte schon schwieriger sein, sie kannte ihn kaum. Doch um so leichter wäre es in der Zukunft auf die Probe zu stellen.
"Wie werden die Umstände sein, unter denen ich das nächste mal der Prinzessin Aurore gegenüberstehen werde." Eine Fangfrage? Vielleicht. Politik? Konnte man von der Prinzessin sprechen ohne so etwas im Sinn zu haben?
|
|
|
Post by Angelique on Dec 15, 2015 21:19:06 GMT
"Nein, ich ehre die alten Gesetze der Römer: Keine Prophezeiungen und Wahrsagereien, die den Herrscher betreffen! Nur soviel: der Bußfertige mag mehr erreichen als der Stolze. Aber das ist keine Prophezeiung, nur ein persönlicher Rat."
|
|
|
Post by Fabrizio on Dec 16, 2015 20:10:00 GMT
Schade, ihn hätte durchaus interessiert, was sie dazu zu sagen gehabt hätte.
"Etwas übervorsichtig für meinen Geschmack, immerhin ging es nur um mich und nicht um den Herrscher. Aber scheinbar weißt du, dass einem manchmal Schweigen den Hals retten kann."
Wieder fixierte er sie, diesmal durchaus gespannt. "Dann also meine dritte Frage. - Was wird die Zukunft bringen für diese Stadt, Genua?"
|
|
|
Post by Angelique on Dec 16, 2015 20:34:13 GMT
Das kleine Mädchen wirkte enttäuscht, beinahe gelangweilt. "Das ist alles? Wie einfach. Die Stadt wird durch hölzerne Mauern beschützt werden und der Heiden Macht gebrochen. Drei Inseln werden gewonnen und wieder verloren. Unanständig reich wird sie werden und niemand wird Handel treiben können ohne sie. Weder Kaiser noch Papst werden Macht hier haben, nur Dämon Mammon. Aber der Klan der Könige wird in..." Sie stutzte. Dann lachte sie hell und kindlich, doch irgendwie auch schmutzig und sarkastisch. "Oh, du Schelm! Wie klug du doch bist! Jetzt wäre ich fast darauf herein gefallen und hätte doch noch Wahrsagerei für Aurore gemacht. Ts,ts," grinsend stützte sie ihr Kinn in die Hände und fragte: "War das erhellend genug, Hoher Klan?"
|
|
|
Post by Fabrizio on Dec 16, 2015 22:22:11 GMT
Fabrizio dachte eine ganze weile nach, betrachtete dabei gedankenverloren den Kadaver der Möwe und die blutverschmíerten Zeichen.
Hölzerne Mauern. - Am wahrscheinlichsten war damit eine wehrhafte Flotte von Schiffen gemeint. Das passte auch zu dem, was sie vorhin zu ihm sagte, und was er durchaus nicht vergessen hatte.
"Du sprichst sehr klar für eine Weissagung. Sind nicht die Visionen eines Orakels eher verzerrt und vernebelt vor der Deutung? - Du hattest die Antwort auf meine Frage bereits bevor ich sie stellte. Die Vision die du gerade gedeutet hast, du kanntest sie schon geraume Zeit, nicht wahr? Und du wirst noch von anderen Visionen wissen, denn das was du mir gerade über Genuas Zukunft geweissagt hast, wird sicher nicht das sein, was bei der Prinzessin auf wenig Liebe stieß."
Nun, er wartete ab, war es wohl erhellend genug?
|
|
|
Post by Angelique on Dec 17, 2015 9:01:41 GMT
Diesmal lachte Angelique hell auf. "Du bist besorgt, nicht wahr? Immer wieder versuchst du zu hören, was dir verboten ist. Wie glücklich wäre Saul die letzte Zeit seines Lebens gewesen, hätte er nicht die Hexe1 von Endor aufgesucht, deren Totengeist ihm nur Unausweichliches prophezeite. Ja, manche sagen, erst der Verstoß gegen sein eigenes Verbot hätte den Zorn Jehovas auf ihn gelenkt. Willst du also die Zukunft kennen, die du zu ändern wünscht, bringt dir vielleicht gerade erst der Versuch die Erfüllung der Prophezeiung. Laß ab davon und führe mich nicht in Versuchung."
Dann schaute sie ihn unter einem Vorhang wirrer Locken aus der Dunkelheit her direkt an, so dass ihre durch Auspex glimmenden Augen wie körperlos hinter einem Vorhang starrten. "Und ja, ich sah die beiden schwarzen Hunde, die sich über dem weißen Kadaver stritten, während die Ratte wisperte."
Klugscheißerfußnoten: 1Jaja, ich weiß, eigentlich ist die richtige Übersetzung für "ba'alat 'ob" "Totenbeschwörerin", aber volkstümlich setzte sich halt der Begriff "Hexe" durch
|
|
|
Post by Fabrizio on Dec 21, 2015 14:48:21 GMT
Fabrizio nickte zufrieden, wenn auch irgendwie ernster als zuvor. Endlich hatte er etwas aus ihr herausgekitzelt, einen kleinen Happen, mehr nicht. Aber es war ihm genug auch ihre Ernsthaftigkeit zu erkennen. Andererseits war er nun nicht so dumm wie ein hungriger Fisch nach dem Happen zu schnappen.
"Man muss kein Hellseher sein, um sich hier in Genua zu sorgen. Aber deine Worte zeigen mir, dass ich mich zumindest zu recht sorge. - Und du hast recht mit deiner Warnung, mehr sollte ich darüber nicht wissen wollen."
Schwarze Hunde, weiße Kadaver und wispernde Ratten - in seinen Gedanken wurde er die mächtigen Bilder die sich durch diese Worte aufgebaut hatten dennoch nicht los...
|
|
|
Post by Angelique on Dec 21, 2015 15:40:40 GMT
Angelique grinste breit und hielt ihren breitkrempigen Schlapphut nach unten. "Und war Euch die Wahrsagerei etwas wert, hoher Herr der Schatten?"
|
|
|
Post by Fabrizio on Dec 31, 2015 12:54:12 GMT
"Cortile delle Meraviglie! Zum Hof der Wunder solltest du gehen, gute Scharlatane bekommen dort ihre Münzen in den Hut." Ruft er ihr mit gesprieltem Spott zu und winkt ab. Doch gezielte Ernsthaftigkeit ist in der Stimme zu erkennen, unter der Oberfläche der Worte. Respektbekundung, oder aber ein guter Rat...
Jedenfalls wendet der Kapitän sich daraufhin von ihr ab und winkt seine Begleiter zurück auf den Weg von dem sie soeben gekommen waren, er hatte den Plan offenkundig geändert aber sprach nicht darüber. Menschenleere Gassen würde er demnächst meiden, es war zu einfach ihm aufzulauern. Nur eine der weniger seltsamen Erkenntnisse dieser Nacht.
|
|