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Post by Angelique on Dec 31, 2015 13:11:25 GMT
Zu verabredeter Stunde polterte ein Karren die noch aus Römertagen stammende Straße entlang zum Kloster. "Wir sind bald da, namenloser Freund," beruhigte sie den bestimmt schon Ungeduldigen im Daubengefäß auf dem Karren.
Sie hatte großes Glück gehabt. Der wegen Diebstahl gehängte Mann war nicht nur ein Vagabund ohne Angehörige gewesen, nein, er war auch noch gegen Ende des Tages erhängt worden, so dass die Totenstarre noch nicht eingesetzt hatte. Fast wie ein besinnungslos betrunkener Liebhaber war er schlaff in Angeliques Arme gefallen, als sie ihn vom Galgen schnitt. Mühelos hatte sie ihn ins Faß stopfen können, ohne Glieder brechen zu müssen. Die herausgestreckte Zunge, die geplatzten Äderchen in den hervorgequollenen Augen und das vom letzten Ergusse besudelte Leinenhemd zeugten von einem langsamen Ende. Der Henker hatte sich nicht auf die Schultern des Verurteilten gesetzt, um sein Genick zu brechen und somit sein Leiden zu verkürzen. Der Sterbende musste einen schönen Tanz in der Luft aufgeführt haben. Dass Hinrichtungen zumeist des Tages durchgeführt wurden, dauerte Angelique manchmal. Sie konnte sich kaum noch an die Volksfeststimmung zu solchen Anlässen in ihrer Kindheit erinnern.
Nun, ja, immerhin konnte sie einen hübschen, kleinen Abendspaziergang mit dem Toten machen. Es war fast, als führe sie eine Puppe aus. Viel zu früh stand sie dann am Tore des Klosters. "Wir sind da. Es wird dir gefallen. Benedetto wird dir Sakramente geben, wie sie kein sterblicher Priester geben könnte." Mit diesen Worten klopfte sie zaghaft.
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Post by Benedetto on Jan 2, 2016 14:08:44 GMT
Der Mönch an der Pforte warf einen Blick hinaus, dann schloss er das Sichtfenster. Wenige Minuten später traten Citus und Benedetto heraus. Marius war verdächtig abwesend. Angelique wurde knapp begrüßt, dann hoben die beiden Mönche das Fass vom Wagen und brachten es rasch ins Innere des Klosters. Angelique konnte ihnen durch die schwach erleuchteten Gänge folgen, bis die drei schließlich in der Krankenstube standen.
Citus reichte Benedetto einige Lederetuis, Tücher und eine Schale mit Wasser, dann schloss sich die Tür. Benedetto hingegen öffnete das Fass mit einigem Geschick und blickte hinein. Er nickte langsam und zog den Toten auf den Tisch. Beinahe zärtlich ordnete er die Glieder und legte den Kopf hin, schloss die Augen der Leiche. Dann öffnete er eines der Lederetuis. Metall schimmerte schwach im Licht der Öllampen.
Benedetto nahm eine Schere zur Hand und begann, den Toten zu entkleiden. Die Lumpen, zerschnitten wie sie waren, stapelte er sorgsam auf der Seite. Danach begann er den Toten mit langsamen Bewegungen zu waschen, entfernte Schmutz und Staub. Währenddessen blickte er auf Angelique, die bisher nicht aufgefordert worden war, sich zu beteiligen.
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Post by Angelique on Jan 2, 2016 14:41:51 GMT
Angelique schaute dem untoten Mönch bei seinem Treiben aufmerksam zu und versuchte sich einzuprägen, wie man beim zügigen Fortschneiden der Kleidung am besten zu Werke ging. Wie üblich in jenen Tagen, löcherte der Lehrling den Meister nicht mit Fragen, sondern beobachtete geduldig und hoffte auf erklärende Worte.
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Post by Benedetto on Jan 2, 2016 21:34:31 GMT
Benedetto konzentrierte sich wieder auf den Leichnam vor ihm, studierte den Mann eingehend. "Ein Gehenkter, soso. Tod durch Suffocatio, wenn ich mich nicht irre. Kein Genickbruch." Er legte den Zeigefinger an seine Unterlippe. "Angehender Rigor Mortis. Etwa 30-40 Jahre alt. Schlechte Ernährung, Ungleichgewicht der Säfte."
Der fette Mönch legte weitere Instrumente bereit. Ein Messer, eine Zange, einen Hammer, etwas, das wie eine kleine Säge mit gezackter Klinge aussah. "Nun, Angelique, dann erzählt einmal. An welchen Stellen würdet ihr zustechen, wenn möglichst großen Schaden anrichten wolltet?"
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Post by Angelique on Jan 3, 2016 10:11:15 GMT
Das Mädchen legte den Finger erst die Seiten des Halses. Dann berührte sie Augenhöhlen und Schläfen. " An Hals und Kopf sind dies die Stellen, die wenig Schutz durch Knochen bieten und sofortigen Tod bedeuten. Wobei der Verlauf der wichtigen Adern mir natürlich bekannt ist, die dabei am Hals durchtrennt werden."
Ihre Hand glitt weiter zum Brustbereich und zwischen die Rippenbögen pikste sie leicht mit dem Finger. "Das Herz ist offensichtlich bei Mensch und Kainit gleichermaßen ein verhehrendes und sofort auschaltendes Ziel. Aber es ist schwer zu treffen. Der Rippenkasten schützt es sehr. Also entweder ein gut geführter Stich in diesem Winkel oder," sie legte ihren Finger unter den untersten Rippenbogen, "von hier in die Höhe."
Angelique führte ihr Händchen sacht an die Seiten des Toten, wo die Nieren lagen. "Mein bevorzugter Weg ist dieser. Absolut unschützt selbst für ein kurzes Messer und sofort tödlich." Sie lächelte unschuldig und neugierig zugleich. "Ich habe aber nie hineingeschaut, um zu verstehen, welch Besonderheit des Gekröses dies bewirkt. Das Verletzen der Adern allein kann es nicht sein, sonst würde es viel länger dauern. Obwohl ich schon harmlosere Verletzungen sah, die sofort zum Tode führten. Einmal trennte Roger einem Räuber nur die Hand ab und nach Luft schnappend wie ein Fisch auf dem Trockenen und zitternd wie ein Frierender starb der Schuft. Einfach so, als hätte der Schlag ihn getroffen."
Angelique verstand soviel vom Töten und hatte soviel Tod gesehen, aber jetzt erst merkte sie, wie wenig sie über die Gründe wusste.
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Post by Benedetto on Jan 5, 2016 20:22:44 GMT
Benedetto nickte. "Gelegentlich ist es der Schock der Verletzung, der ein Leben schnell beendet - so wie eine Ratte, die, gefangen in der Falle, in Panik verreckt. Aber viel wichtiger sind eure Einsichten. Eure... Straßensitten haben euch bereits einige wichtige Dinge gelernt. Und nun zeige ich euch, wie ihr mehr darüber lernen könnt. Fiat Experimentum in Corpore Vili."
Er trat an die Leiche heran und setzte das scharfe Messer am Schlüsselbein der Leiche ein, machte einen Einschnitt vom linken Schulterblatt zur Brustmitte, dann vom rechten. "Um Einsicht zu gewinnen, muss zunächst so viel wie möglich freiliegen", erklärte Benedetto, während er die Hautlappen zur Seite bog. "Und nun zur Bauchhöhle." Aus den zwei Schnitten wurde die Form eines Ypsilons, nun schwer zu erkennen, da die Rippen bereits frei lagen.
"Die Bauchhöhle stützt sich nicht selbst, wie die Rippen" erklärte der Kappadozianer mit dem Tonfall des Dozenten. "Daher müssen wir dafür sorgen, dass wir die Organe gut erfassen können." Er zog einen langen, fleischigen Schlauch heraus. "Was dies ist, habt ihr bei euren Straßenkämpfen sicher bereits erfahren..."
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Post by Angelique on Jan 5, 2016 20:47:42 GMT
"Das ist das Gedärm. Es hat was mit dem Essen und Sch...sich Erleichtern zu tun, nicht war? Roger," sie seufzte beim Gedanken an ihren Recken, "hat mir einmal gesagt, dass man einem mit Bauchverletzung Zwiebeln zu essen gibt. Riecht die Wunde dann einige Zeit danach nach Zwiebeln, weiß man dass der Darm verletzt ist und der Verwundete es wohl nicht überstehen wird." Sie dimmte ihr feines Näschen und konzentrierte ihre übersinnlichen Wahrnehmungen auf die Sicht. Manchmal war es gut, nicht atmen zu müssen. Fasziniert schaute sie auf das gräßliche Werk des Mönches. "Manches sieht fast wie bei Tieren innen drinnen aus, oder?"
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Post by Benedetto on Jan 5, 2016 21:49:41 GMT
"In der Tat. Viele der Organe... der Innereien in der Bauchhöhle sind sehr gut durchblutet. Nicht jeder Stich in den Bauch muss tödlich sein, aber die meisten sind es. Es ist eine furchtbare Art zu sterben..." konstantierte Benedetto völlig sachlich und kühl "...denn anders als bei einem Stich ins Herz oder in den Kopf stirbt das Opfer erst nach vielen qualvollen Stunden. Tatsächlich ist es meist ein Verbluten: Das Blut sammelt sich in der Bauchhöhle und die Wunde schließt sich nicht."
Er faltete die Hände. "Die Säfte geraten aus dem Gleichgewicht, die Wunde entflammt. Der Körper verrottet und fault in sich, während sich Kot und Blut mischen. Aber wie dem auch sei - es gibt weitere Organe in der Bauchhöhle, von denen ihr wissen solltet. Dies hier..." er zeigte auf zwei halbrunde Organe "...sind die Nieren. Sie speichern Blut und entsprechend ist eine Verletzung dort besonders gefährlich."
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Post by Angelique on Jan 5, 2016 22:03:56 GMT
"Hm, und das große darüber? Es sieht aus wie eine Schweineleber. Wozu dient es?" Angelique runzelte die Stirn. "Und wo ist denn die fehlende Rippe, aus der das Weib geschaffen wurde? Sieht für mich alles ziemlich paarig aus. Das ist mir früher schon bei verwesten Skeletten aufgefallen."
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Post by Benedetto on Jan 6, 2016 10:35:42 GMT
"Vergesst nicht, dass dies hier nicht Adam ist. Im Aufbau der Knochen liebt Gott die Harmonie. Vielleicht müssen wir die Bibel auch so verstehen, dass ein Rippenpaar verwendet wurde." Benedetto blickte auf die Leiche, studierte die Anatomie. "Wart ihr es nicht, welche mit solch radikalen Ideen kam? In der Bibel steht auch nichts davon, dass die Welt vom Widersacher geschaffen wurde. Ich halte es für... zweckmäßig, sich gelegentlich vom Wortlaut zu lösen und selbst zu denken."
Er nickte auf das bezeichnete Organ. "So wie ihr es tut. Dies ist in der Tat die Leber. Mensch und Schwein haben viele Gemeinsamkeiten, aber es gibt auch Unterschiede. Diese sind der Grund dafür, warum so viele selbsternannte Heiler dort draußen nicht verstehen, was vor sich geht: Nur der Einblick in den menschlichen Leib - in viele menschliche Leiber - zeigt, was wir wissen müssen."
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Post by Angelique on Jan 6, 2016 12:08:05 GMT
"Wofür ist sie gut, die Leber? Und das Beutelchen daran? Was ist das? Es wirkt grün wie Gallenfluss? Ist das eine Geschwulst? Oder hat es mit Verweseung zu tun?" Ihre Neugier wurde immer mehr geweckt. "Gibt es Unterschiede im Leib zwischen Mann und Frau. Ich meine, außer den offensichtlichen. Oder ist es gleich mit den Innereien? Wo kommt die Milch in den Brüsten her? Welches Organ erzeugt sie und warum können Männer trotz Warzen kein Kind säugen?" Immer mehr Fragen wallten in ihrem Hirn auf und sie musste sich sammeln, um sie nicht alle zugleich zu stellen. Sie knabberte an der Unterlippe und zwang sich, dem armen Benedetto Zeit zum Antworten zu geben.
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Post by Benedetto on Jan 6, 2016 20:52:19 GMT
"In der Leber sitzen Gefühle und Temperamente und sie ist auch die Quelle des Blutes, so heißt es bei den Gelehrten. Ich bin... nicht vollständig davon überzeugt. Aber in jedem Fall ist sie massiv mit Blut gefüllt." Benedetto hörte ihre Fragen mit freundlichem Nicken an. "Es gibt große Unterschiede, in der Tat. Seht, dieses Organ hier ist dem Mann eigen." Er schob die Harnblase zur Seite und zeigte auf eine kastaniengroße Geschwulst. "Und stets lernen wir mehr. Für eine Frau wäre ein anderes... Objekt geeigneter zur Erklärung."
Benedetto klappte den Körper wieder zu und wusch sich die Hände in einer kleinen Wasserschale. "Ich lasse euch erst einmal Zeit das Gelernte zu prozessieren. Bis dahin lasst uns über andere Dinge sprechen. Wie geht euer Vorhaben voran, in Genua Fuß zu fassen?"
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Post by Angelique on Jan 6, 2016 22:55:29 GMT
Angelique fasste sich verlegen an den Hinterkopf. "Ach, eher schleppend," gestand sie. "Ich versuche, behutsam vorzugehen, um all die vielen, vor allem hohen Klane, nicht zu verärgern. Ich schicke, nun da mein Roger wieder genesen ist, ihn sogleich nach Norden, um die Buchgeschäfte zu beginnen, über welche wir sprachen. Den Herrn Alerio traf ich neulich und einen anderen seines Klans, einen Korsar, so glaube ich. Und der Herr Maximinianus gibt mir ein bißchen Nachhilfe in hiesiger Etikette. Jaja, ich weiß, nie einem vom Königsklan dabei in die Augen sehen." Das letzte sagte sie spöttisch, wusste sie doch, dass keine christliche Liebe zwischen den beiden Kirchenmännern war. Und sie wollte vermeiden, dass Benedetto glaubte, sie würde Opfer von des Ädils Beherrschungskräften werden.
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Post by Benedetto on Jan 7, 2016 19:28:40 GMT
"Was das angeht, so habt ihr tatsächlich den besten Lehrer gefunden." Benedetto lächelte geheimnisvoll. "Allerdings solltet ihr in anderen Dingen nicht unbedingt seinem Beispiel folgen. Derzeit versucht seine Koterie, die Könige, massiv in Genua an Einfluss zu gewinnen. So sehr, dass andere es bemerken." Er wurde ernst. "Wenn ihr Einfluss sucht, so solltet ihr euch klüger anstellen. Ja, vielleicht können wir uns sogar gegenseitig helfen."
Der fette Mönch schwieg einen Moment, dann fuhr er leise fort. "Die Könige beherrschen über Godeoc bereits Clavicula, die Domäne des Nosferatu. Ich weiß, dass Maximinianus massiven Einfluss in Mascharana hat. Und nun beanspruchen sie auch noch Platealonga - drei der Sestieri. Ich für meinen Teil versuche dafür zu sorgen, dass der Hafen frei bleibt von ihrem Machtanspruch, als Schutz für mich selbst."
Er zog den Mundwinkel hoch. "Habt ihr Interesse, dort Einfluss zu gewinnen und gleichzeitig etwas für die Demokratia unter den Kainskindern zu tun?"
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Post by Angelique on Jan 7, 2016 19:38:12 GMT
Wie so häufig, überlegte sie nicht lange. Endlich, ein Viertel IN Genua, noch dazu der Hafen! Handel, fremde Leute, die weite Welt! "Ja, von Herzen gerne!" sprudelte sie hervor. "Was was muss ich dafür tun?" Nicht der Hauch eines Misstrauens war dabei in ihrer Stimme. Nur Neugier
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