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Post by Angelique on Oct 18, 2015 13:14:53 GMT
Zaghaft klopfte Angelique an das düstere vorromanische Tor des umrankten wuchtigen Baus, dem noch trotz der modernen Anbauten nach dem St. Gallener Plan der Benediktiner sein weitaus älteres Erbe aus langobardischen und noch früheren Zeiten anzusehen war.
Sie wollte sich als Knabe ausgeben, der Obdach für die Nacht suchte an diesem heiligen Ort. Sollte sie als Mädchen enttarnt werden, so würde sie vorgeben, aus materieller Not den Mönchen sich andingen zu wollen.
Schauer durchliefen sie, als sie in den Augenwinkeln vermeinte, in jedem Rascheln des Buschwerks oder der Schatten, den Wolken vor dem Mond warfen, geisterhafte Schemen zu erkennen, die aus den Nebeln über der alten Nekropole aufstiegen, um nach ihr zu greifen.
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Post by Benedetto on Oct 18, 2015 14:30:41 GMT
Die kleine, umrankte Seitenpforte war einer der wenigen Teile des Klosters, der von den massiven Umbauten unberührt geblieben war. Selbst jetzt, wo sich die Arbeit ihrer Vollendung näherte, gemahnte sie an die schlichten Ursprünge der Betgemeinschaft. Hier konnten sich nächtens die Bittsteller einfinden und nach Almosen fragen, welche auch fast immer gewährt wurden. Die neuen Mauern - höher, um den Schutz vor der sündigen Außenwelt zu gewähren - waren hingegen noch frisch und ohne Makel. Dahinter ließen sich in der Dunkelheit zwar hier und da die Dächer der Wirtschaftsgebäude erahnen, aber mehr Einblicke ließen sie nicht zu. Ansaldo de Volta und seine Bauwerker hatten gute Arbeit geleistet. Und noch immer konnte man in der Ferne das Meer rauschen hören, was den Eindruck der Einsamkeit noch verstärkte. Ein älterer Mönch öffnete das kleine Sichtfenster und blickte hinaus. Erst runzelte er die Stirn, als er niemanden auf Augenhöhe vorfand. Dann aber schaute er auf Angelique hinab. "Oh! Guten Abend..." er schien zu überlegen "...junger Mann. Was führt dich denn zu so später Stunde hier heraus? Brauchst du eine Mahlzeit?" Seine Stimme klang freundlich und mitfühlend. "Ich bin Bruder Arturo, der Pförtner und ich helfe dir gern, wenn ich kann."
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Post by Angelique on Oct 18, 2015 14:42:17 GMT
"Oh, Gott vergelt's," antwortete die helle Stimme und Angelique schaute mit ihren ausdrucksstarken Augen zu dem Pförtner hoch."Gespeist habe ich schon, aber wenn du mich herein bitten würdest, hätte ich ein Dach über dem Kopf. Ich habe gesäumt und nun sind die Tore geschlossen. Aber einen Mönch eures Klosters hat der Herr auf meinen Weg gesandt und so fiel es mir ein. Würde ich Bruder Benedetto bei der Mitternachtsandacht stören, wenn ihr ihm sagtet, Angelo wäre seiner Einladung frecherweise zu später Stunde gefolgt, die Bibliothek zu schauen, die er so pries?"
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Post by Benedetto on Oct 18, 2015 15:09:42 GMT
Der Pförtner hob gerade an zu erklären, dass das Kloster zwar keine Gäste aufnehme, der Wirt des müden Pilgers aber ein herzensguter Mann sei, als der Name Benedetto an seine Ohren klang. Er verstummte und runzelte die Stirn. Dann, unschlüssig, sagte er nur: "Bitte wartet hier" und schloss das Sichtfenster. Angelique blieb in der Dunkelheit zurück.
Nach einigen Minuten öffnete sich nicht das Sichtfenster, sondern die Tür und ein junger, hochgewachsener Mönch trat heraus. Er betrachtete Angelique kurz, nickte zu sich selbst und verneigte sich dann respektvoll. "Werte Herrin Angelique, ich bin Bruder Citus. Bruder Benedetto bittet um einen Moment Geduld. Folgt mir, hier entlang, aber seid bitte leise. Die Brüder haben soeben erst die Komplet abgeschlossen und es ist besser, wenn ihr sie nicht stört."
Mit Handzeichen führte er die kleine Malkavianerin durch dunkle Gänge, hinein in den Kreuzgang, entlang des Klostergartens, aus dem es nach vielerlei Kräutern roch. Überall lagen noch kleine Stapel mit Baumaterialien, waren Wände noch unfertig oder andere Spuren des kürzlich erfolgten Baus zu sehen. "Ihr seht, wir hatten damit gerechnet, dass ihr kurz im Gasthaus im Dorf vorstellig würdet", erklärte Citus ohne einen Vorwurf in der Stimme. "Bruder Benedetto wird gleich zu euch stoßen."
Er öffnete eine Tür, die in ein größeres Scriptorium führte. Auf den Pulten fanden sich noch Pergament und Schreibgriffel, die Reste der täglichen Arbeit, aber gesäubert und für den nächsten Tag vorbereitet. Am Ende des Raumes stand ein Tisch mit einigen schlichten Stühlen. Schmale Fenster ließen Mondlicht herein. Neben zwei Öllampen auf dem Tisch war der Raum aber ansonsten finster, die Kerzen auf den Pulten niedergebrannt.
Citus nickte noch einmal freundlich und schloss die Tür hinter Angelique. Sie war allein.
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Post by Angelique on Oct 18, 2015 19:39:08 GMT
Angelique wartete geduldig, weilte aber weit vom Öllicht entfernt, obwohl sie natürlich fasziniert in die flackernden Flämmchen starrte und auf Zeichen des Erzengels Michael, des Herrn des Feuers, wartete, dessen Zorn sie und alle gefallenen Engel am Anbeginn der Zeiten sich zugezogen hatten.
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Post by Benedetto on Oct 19, 2015 6:52:19 GMT
Im Kloster war es ruhig. Ein- oder zweimal hörte Angelique noch, wie jemand über den Gang schritt - leise Schritte, kaum wahrnehmbar - und dann konnte sie höchstens noch das Zirpen der Zikaden hören, vielleicht das Rauschen des Meeres in der Ferne. Die Öllichter flackerten leicht und warfen unruhige Schatten auf die Wände. Interessanterweise hörte sie weder das Tippeln von Mäusen im Gebälk noch konnte sie Spinnen an den Wänden sehen, so als würden die Tiere diesen Ort meiden.
Der Lichtschein traf die Seiten, welche auf den Pulten zurückgeblieben waren und ließ die bereits aufgebrachten Farben scheinen. Gold und Grün und Rot schimmerten Fabeltiere und sich rankende Pflanzen, umspielten die schwarzen Buchstaben und ließen sie trotz ihrer Sauberheit und Geradlinigkeit simpel und langweilig erscheinen. Angeliques Blick wurde von einer Seite angezogen, auf der seltsamerweise noch kein Text stand.
Sie zeigte zwei Männer auf zwei Seiten einer Mauer. Der auf der linken Seite hatte die Hand ans Kinn gelegt und die andere auf die Mauer. Auf der rechten Seite hielt der andere Mann die Hände erhoben, zur Mauer gewandt. Der Detailgrad und die künstlerische Fähigkeit dahinter waren erstaunlich. Mimik und Gestik wirkten extrem lebensecht. Nur die Perspektive stimmte nicht ganz: Es schien, als würde der Mann auf der Linken durch die Mauer hindurchfassen.
Benedetto war noch immer nicht erschienen.
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Post by Angelique on Oct 19, 2015 7:16:04 GMT
Hihihi, ein Rätsel, dachte Angelique bei sich. Ihr grummeliger Missmut der letzten Nacht war verflogen. Der Fluch, als Kind in die Nacht geholt worden zu sein, erwies sich diesmal wieder als Segen. Neugierig an einem Ort, an dem ein sterbliches Mädchen vor Angst geweint hätte, sah sie nur das Spiel. Benedetto spielte Verstecken! Oh, wie gut sie selbst darin war! An einem Ort wie dem verborgenen Kryptoportikum von Arles von einer Meisterin unterwiesen, war das Gewölbe des Klosters eine schöne Abwechselung, aber keine Herausforderung. Mit gesteigertem Sinn suchte sie Luftzug auf ihrer Haut zu spüren, lauschte nach dem Säuseln des Windes, der vielleicht durch Ritzen im Stein wehte und legte sacht die Hand an die Wände, um darüber huschend bewegliche Teile ausfindig zu machen.
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Post by Benedetto on Oct 19, 2015 9:53:31 GMT
Tausende Eindrücke prasselten auf ihre Sinne ein. Das frische Holz der Dachbalken duftete, der Gesang der Grillen vor dem Fenster wurde intensiver, das Licht blendete und ließ die Farben auf den Seiten unnatürlich schön leuchten. Sie fühlte die Kälte des Skriptoriums bis in die letzten Winkel ihres Körpers, ein angenehmes Kribbeln, das ihrem untoten Körper nicht schadete.
Und sie hörte schwere Schritte, die sich rasch näherten, draußen auf dem Gang. Vor der Tür blieben sie stehen, für einige Sekunden. Dann öffnete sich diese langsam und der fette Mönch, den sie am Hafen getroffen hatte, trat ein. Er hatte eine Hand hinter dem Rücken verschränkt, die andere am Holz. Mit leicht gerunzelter Stirn blickte er Angelique an, nickte ihr dann allerdings zu. "Angelique. Ich hatte... nicht so schnell mit euch gerechnet."
Die fetten Finger wiesen auf den Tisch. "Bitte, setzt euch."
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Post by Angelique on Oct 19, 2015 10:50:45 GMT
Der stattliche Bacchus trat ein und Angelique, immer noch im Banne der eigenen geschärften Sinne, war überwältigt vom Anblick der fahlen Haut, die so sehr dem leckerstem Käse glich, den sie in als Lebende gekostet hatte. Der Geruch nach Pergament und Tinte trat in ihre feine Nase, aber auch der süße Duft der Verwesung hing als Hauch an ihm, zusammen mit der Ahnung menschlicher Vita. Artig gehorchte sie dem Beeindruckenden. Er war der Einzige gewesen, der ihr in diesem widerwärtigen Sodom und Dorn im Auge Gottes Freundlichkeit und Milde entgegengebracht hatte. Obwohl Engel des Todes wollte sie um seiner Willen diesen Sündenpfuhl verschonen. Gespannt ließ sie die Beine vom Stuhle baumeln. Weit waren sie vom Boden entfernt. Entfernt auch erinnerte sie sich an den Brauch, Mädchen in ihrem Dorfe zu verheiraten, wenn die Füsse den Boden berührten. "Entschuldig diesen Überfall, oh Wundervoller! Aber der Omnivore verwies mich der Stadt wegen meiner Aufmachung gestern und erst am Namensfest der Sara darf ich wieder vor den Princeps treten. Also wollte ich dich wenigstens besuchen, bevor ich ein wenig in der Umgebung pilgere. Vielleicht kannst du mir auch sagen, welche Anverwandten noch meine Anwesenheit verachten werden. Und von welchen sterblichen Vasallen ich mich noch demütigen lassen darf. Am Hofe der Liebe sind diese Heidensitten unbekannt und ich möchte nicht noch einmal dem Liktor Anlass geben, mich mit Gewalt und Pfählung zu bedrohen." Angelique schüttelte wild den Kopf, dass ihre schwarzen Locken nur so flogen. "Schweig still, Anima! Es ist genug! Lass dein höheres Selbst wohlklingende Worte für den Gewaltigen finden!" Lieb schaute sie dan großäugig hoch. "Oh, Mondgleicher, gesegnet von GOtt, mag ich es wagen, von deinem Wissen und deiner Bibliothek zu lernen? Kannst du mir Geheimnisse des Babelfluches lehren, auf dass ich die Zungen der Fremden verstehe? Hast du gar Schriften, die ansonsten niemand kennt? Und nicht zuletzt, weißt du von Sündern, deren Taten so schwer wiegen, dass ein Engel der Strafe oder des Todes sie besuchen sollte, weil du, der du der Gewaltlosigkeit folgst, nicht Hand an sie legen willst?"
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Post by Benedetto on Oct 19, 2015 11:40:01 GMT
Es war wahrlich ein Überfall, eine Überfall mit einer Wortschwemme, die dem plapperndsten Waschweib zur Ehre gereicht hätte. Benedetto zog die Augenbrauen immer höher, je länger sie redete und schließlich konnte er sich ein Schmunzeln nicht verkneifen, trotz seiner sonst so kalten Art. "Langsam, werte Angelique, langsam. Brimir hat euch bedroht? Ihr seid aus der Stadt verbannt?" Er rieb sich das Kinn. "Das ist natürlich bedauerlich."
Dann faltete er die Hände. "Ihr habt viele Fragen und das ist gut, denn es zeugt von einem wachen Geist und dem Wunsch nach Wissen. Ich will versuchen, euch soweit es geht, zu helfen. Aber ihr werdet verstehen, dass ihr euch erst beweisen müsst, bevor ihr von mir wertvolle Geheimnisse erfahrt." Bei diesen Worten öffnete er die zweite Hand. "Ihr könnte damit beginnen, mir dies hier zu erklären."
Sein Gesicht war nun wieder kalt und unbewegt, die bleichen Augen waren auf die Malkavianerin gerichtet. In der Hand lag der kleine, silberne Fingerknöchel.
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Post by Angelique on Oct 19, 2015 11:48:07 GMT
Angelique strahlte. "Gefällt er, meine Sonne der Nacht? Er gehörte einst an die Hand des Gründers deines Ordens. So zumindest sagt man. Ich dachte mir, du würdest ihn nutzbringender für deine Schäfchen einsetzen können als der Vorbesitzer, der eher dem Messweine und seinen Novizen zugetan war als den Heiligen zu ehren."
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Post by Benedetto on Oct 19, 2015 13:34:23 GMT
Der Kappadozianer betrachtete den Fingerknochen nachdenklich. "Sagt man das? Nun, ich weiß das Geschenk zu schätzen." Er verstaute ihn in seiner Tasche und blickte Angelique an. "Allerdings verwechselt ihr das Mönchsleben mit dem Amt eines Priesters. Ich habe keine 'Schäfchen'. Unser Orden lebt abgeschieden von der Welt und in der Konzentration auf die Verehrung des Allmächtigen."
Dann faltete er die Hände. "Ich weiß nicht, wie ihr in der Stadt aufgenommen werdet, Angelique. Ihr solltet allerdings, sobald es euch erlaubt ist, einmal das Elysium von San Donato aufsuchen. Die Besitzerin, Acacia della Velanera, kann euch sicher mit einigen anderen Kainskindern bekannt machen." Er runzelte die Stirn. "Ich rate euch, euch in Acht zu nehmen, denn einige von ihnen sind gottlose Mörder. Aber das werdet ihr schon selbst herausfinden."
Benedetto zuckte mit den Schultern. "Was Sünder angeht, so kann ich euch kaum helfen. Die wahren Verbrecher leben zumeist in den Mauern der Stadt, in Clavicula oder am Hafen. Clavicula aber ist die Domäne des Nosferatu Godeoc und ihr solltet das Viertel besser meiden. Ich würde allerdings auf Morde verzichten, davon hat die Stadt nun wahrlich genug." Er schien von der Idee des Tötens nicht so abgeschreckt, wie sie es vielleicht vermutet hätte.
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Post by Angelique on Oct 19, 2015 15:13:10 GMT
"Morde? Nein, ER hat mich zum Strafen gesandt. Mord trifft die Unschuldigen, Sünder sind es, die meine Klinge treffen soll. Die, die die Gnade des HErrn nicht annehmen wollen. Und, zögere nicht, mir Anbeter der Unbelehrbaren zu nennen. Die den Dämonen huldigen, die nicht wie wir in die Gnade des Himmels zurückwollen, sondern der Welt Sünde und Unheil bringen wollen."
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Post by Benedetto on Oct 19, 2015 15:38:33 GMT
Der Benediktiner schnaubte. "Nach diesen Kriterien müsstet ihr auch die Prinzessin und den Liktor Brimir strafen, die ebenfalls nicht an den Herrn glauben. Und sie sind nicht die einzigen. Die Salubri Phosoa zum Beispiel - und dabei denkt sie ganz ähnlich wie ihr. Unbelehrbar ist auch der Mörder des Bischofs und dennoch rate ich euch, euch nicht mit ihm anzulegen."
Er faltete die Hände. "Und wenn ihr die Sterblichen angehen wollt, wer weiß schon, welchen Ghul ihr aus Versehen tötet? Und wenn ich euch einen Namen sage, könnte es dann nicht mir dienen, statt der Gerechtigkeit? Andere würden sicher so handeln. Nicht umsonst spricht der Herr 'Mein ist die Rache'. Er alleine weiß, welche Gerechtigkeit wem wiederfahren soll und wird. Und er ist gut und gerecht." Etwas freundlicher fuhr er fort. "Eure Absicht aber ist ehrenwert. Wenn ihr Gerechtigkeit ausüben wollt, dann solltet ihr euch mit den Liktoren gut stellen. Denn sie erfüllen den Willen und das Gesetz der Prinzessin."
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Post by Angelique on Oct 19, 2015 16:01:30 GMT
Angelique seufzte. Der arme Benedetto. Er gkaubte den Lügen des Demiurg. Aber daran war kein Fehl. Er wurde böswillig vom Tier in Rom getäuscht. "Aber sind wir nicht durch das, was wir sind, auserwählt sein Werk zu tun?" fragte sie vorsichtig. Manche waren, obwohl nach der Lehre der falschen Kirche Diener Satans, bereits wieder ihrem Spiritus nahe und es erschien ihr als Pflicht, sie ihrer Engelhaftigkeit zu erinnern. Und ohne es zu wollen, entstellte die Anima ihr hübsches Gesicht mit einem schiefen Lächeln. "Und verzeih, wenn ich wage zu widersprechen: Mit Gerechtigkeit scheint der Liktor wenig zu tun zu haben. Vielleicht sah ich aber nur das Recht, dessen Regeln ich nicht kenne."
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