|
Post by Angelique on Oct 22, 2015 20:16:32 GMT
Meist kam Angelique als Angelo, manchmal auch als kleine Pilgerin zum Kloster. Sie liebte die Kunstfertigkeit der Mönche in ihren Büchern. Benedetto lernte viel zwischen den Zeilen der sehr einfachen dualistischen Weltsicht des Vampirmädchens, denn obschon die Schriften, die in Norditalien in jenen Tagen kursierten, die Scholastik vieler Länder beinhalteten, so zensierte gerade der benediktinische Orden alle ketzerischen Werke, die ihren Weg dorthin fanden. Manche munkelten, dass der eiserne Griff der Lasombra, aber auch der Grabräuber selber, um die Kirche dies bewirkte. Um so freier fanden alle Bücher und Denkweisen ihren Weg ins südliche Frankreich, herrschten dort doch Vampire, die Symposien mit Kirchenvätern und heidnischen Philosophen gleichermaßen gehalten hatten und wo auch unter den sterblichen das geistige Erbe der Antike ungebrochen tradiert wurde.
Und so lernte der schlaue Kappadokier über Ketzereien, von denen er zuvor noch nie gehört hatte. Von den Ophiten, die die Schlange im Paradies als heilig ansahen, von den Adamiten, für die keine Gesetze Gültigkeit hatten und die Nacktheit und den freien Geist predigten, von Messalianern, die ununterbrochen beteten, um den Teufel abzuwehren, von den Circumcillionen, fanatischen Todsuchern im Namen Gottes, die ihre Feinde blendeten oder erschlugen und nachts auf Friedhöfen tanzten, von Nikolaiten, die an heidnischen Opferhandlungen als Ausdruck der Facetten Gottes teilnahmen und sexuelle Freizügigkeit praktizierten. Von den Verfechtern des Pelagianismus dagegegn hatte er gehört, war ihr Begründer doch Feind des heiligen Augustinus gewesen, aber wie verbreitet gerade in Südfrankreich die gotteslästerliche Ansicht war, dass der Mensch ohne die Gnade Gottes sondern durch eigenen Willen und gute Taten selig werden konnte, überraschte ihn doch. Mit zunehmendem Masse musste er sich fragen, ob hinter manchen, besonders den düsteren Sekten, nicht Vampire gestanden hatten - und vielleicht immer noch standen.
|
|
|
Post by Benedetto on Oct 22, 2015 20:42:23 GMT
Benedetto schrieb auch dies alles auf. Gelegentlich verzog er das Gesicht. "Ich muss sagen... das ist geschmacklos", murmelte er gelegentlich. "Außerdem Verschwendung." Doch die Aufzeichnungen standen. Schließlich war das Werk fürs erste beendet und Benedetto schien beinahe erleichtert. Er faltete die Hände, wie zu einem Abschlussgebet, und blickte Angelique dann ernst an. "Euer Werk ist getan, aber das meine beginnt nun erst. Ich danke euch für diese Einsichten."
Dann überlegte er. "Ich denke, ihr habt euch einen Einblick in mein jüngst abgeschlossenes Werk 'De Architectura' verdient." Er bat Angelique, eine Weile zu warten und verließ die Schreibstube, schloss die Tür hinter sich. Eine ganze Weile musste die kleine Malkavianerin warten. Hatte er vielleicht Probleme damit, das Werk zu finden? Aber schließlich kehrte er doch zurück, ein Buch in schlichtem Einband mit sich führend.
"Lasst euch ruhig Zeit mit dem Studium, ihr seid hier gerne willkommen. Ihr könnt auch Passagen kopieren, wenn ihr mögt, aber solltet ihr Pergament und keine Wachstafeln nutzen wollen, so muss ich euch bitten, eigene Materialien zu erstehen. Das Kloster muss mit seinen Ressourcen derzeit haushalten, wegen des Ausbaus."
Das Buch stellte sich als sehr ausführliche Beschreibung architektonischer Konstruktion heraus, von den mathematischen Grundlagen bis hin zur konkreten Umsetzung mittels Werkzeugen und Kränen. Es war ähnlich prunkvoll illustriert wie die Seiten, die Angelique bereits zu Gesicht bekommen hatte. Aber sie konnte deutlich sehen, dass einige der Zeichnungen noch von weitaus höherer Qualität waren. Benedettos Werk, wie sie annehmen konnte.
"Vielleicht hilft es euch bei der Errichtung einer eigenen Zuflucht", merkte Benedetto an. "Im übrigen kenne ich auch einen exzellenten Architekten. Habt ihr schon überlegt, wo ihr euch niederlassen wollt, nach eurer Audienz?"
|
|
|
Post by Angelique on Oct 22, 2015 21:08:36 GMT
Anglelique sah nicht auf, so sehr fesselte sie die Lektüre. Dieser Mönch bewahrte nicht nur, er schuf! Fürwahr, ein Toreador wäre stolz auf so ein Blutkind gewesen! Trotz ihrer Vertiefung meinte sie mit voller Aufmerksamkeit: "Ich weiß nicht einmal, ob ich in der Stadt erwünscht bin, geschweige denn wo. Außer dir kenne ich nur Brimir, den Engel aus dem Haus des Belial. Ich weiß nicht einmal, wo er sein Revier markiert hat, geschweige denn irgendein anderer. Ich muss abwarten, welche Knochen vom Tisch der Princeps für mich herabfallen. Seit ihr Haus den Engel Malkav in Stücke riss wie dereinst Orpheus sagen sie, wir seien die Niederen und behandeln uns so." Dabei schwang keine Bitternis in ihrer Stimme mit, sondern...Fröhlichkeit. Wie bei einem Witz, deren Pointe sie nicht erzählen wollte.
Dann sah sie aber doch auf und meinte leise: "Egal, was geschieht und wieviel das wert sein mag: Ich werde deine Freundlichkeit nicht vergessen. Eine Bitte hätte ich aber noch: Könntet ihr das, was ihr von mir gehört habt unter dem Namen Marie niederlegen und meine Herrin ganz heraus lassen. Ich möchte nicht gegen die Traditionen des Schweigens verstossen, so unwahrscheinlich es auch wäre, dass ein Uneingeweiter dieses Werk lesen wird. Zudem wären klare Namen auch unweise bei Eingeweihten, die dem Sirenengesang Roms folgen, und mir und dir schaden wollen würden." Fast kleinlaut und zögerlich flüsterte sie: "Marie die Müllerstochter ist nämlich mein Name als Mensch gewesen. Aber das weißt jetzt nur du."
|
|
|
Post by Benedetto on Oct 22, 2015 21:58:32 GMT
"Wenn ihr aufgenommen seid, dann habt ihr dieselben Rechte wie alle akzeptierten Gäste der Domäne. Ihr steht unter den Vasallen - uns, die wir der Herrscherin den Bluteid geleistet haben - und könnt euch einen Ort suchen, an dem ihr residiert." Er hob den Finger. "Außer in den Gebieten der Herrscherin und in Clavicula, der Domäne des Nosferatu, natürlich. Oh, und dann gibt es andere Kainskinder, die Gebiete beanspruchen. Ich für meinen Teil habe Burgus recht gut im Griff, auch wenn es keine Domäne ist. Ihr müsst selbst überlegen, ob ihr euch mit ihnen anlegen oder arrangieren wollt."
Er lauschte weiter und nickte. "Wenn dies die Wahrheit ist, so werde ich das gerne tun, Angelique." Sie war kein Mensch mehr und das war ihm ganz offensichtlich bewusst, so wie er ihren neuen Namen betonte. "Ich werde es höchst neutral formulieren. Überliefert vom... Orakel Marie, nach der Tradition ihrer Erschafferin." Er rieb sich das Kinn. "Wenn ein Uneingeweihter dieses Werk liest, so wird er mir ohnehin schaden wollen, aber ich sehe keinen Grund, warum ihr da hineingezogen werden solltet."
|
|
|
Post by Angelique on Oct 23, 2015 6:20:50 GMT
"Ich danke dir dafür. Mir selbst ist es gleich, aber meine Herrin würde es wissen und dir übel nehmen. Anlegen möchte ich mich mit niemanden, aber schon scheint es mit dem Gangrel geschehen. Bluteid, sagst du? Die Kommunion also, aber nur in eine Richtung, nicht wahr? Statt Befreiung und der Gemeinschaft der Heiligen, nur Sklaverei." Sie schüttelte angewidert den Kopf. Bei allem, was sie bisher gesagt hatte, konnte Benedetto vermutlich schließen, dass sie das verbotene gegenseitige Bluttrinken in einer Parodie des Sakraments für normaler hielt als die Knechtschaft unter den Bluteid.
Bevor sie in dieser Nacht ging, um gegen das Gebot des Demiurgs zu verstoßen, fragte sie noch: "Was hat es mit diesem Nosferatu im Schlüsselbein auf sich? Warum hebst du ihn so hervor unter den Kindern der Nacht?"
|
|
|
Post by Benedetto on Oct 23, 2015 8:26:38 GMT
"Oh, verzeiht, ich war schon in Gedanken wieder bei..." Er schüttelte kurz den Kopf. "Clavica, nicht Clavicula. Die Kloake, das einzige Viertel der Stadt, das tatsächlich bereits als Domäne vergeben wurde. Nun, Nosferatu ist der einzige gemeldete Ancilla Genuas, also ist er per Definition älter und mächtiger als wir anderen, nicht wahr? Und ihm wurde Clavica gegeben. Daher solltet ihr das Viertel meide, da ihr sonst gegen den Willen der ehrwürdigen Aurore verstößt."
Dann nickte er. "Und ja, ein Blutsband muss jeder Untertan der Herrscherin zu ihr eingehen. Unangenehm, aber andererseits kann ich ihre Ratio verstehen. Gerade bei all den Konflikten in der Stadt muss sie sich der Loyalität der einzelnen Kainiten versichern."
|
|
|
Post by Angelique on Oct 24, 2015 12:17:55 GMT
Angelique war erschrocken. Galt die Kommunion ihr doch als das heiligste Sakrament überhaupt. "Das verlangt sie? Sie wirft ihre Verwandten unter das Sklavenjoch? Ist sie tatsächlich so alt und mächtig, dem Blutband zwischen Erzeuger und Kind trotzen zu wollen? Was sagt dein Erschaffer dazu, oh Gelehrtester? Und schafft sie sich nicht allüberall Feinde, wenn sie deren Kinder stiehlt und zu den ihren macht?"
Aber nach dem ersten Entsetzen siegte ihre Neugier. "Wie alt ist sie? Wie überstand sie die Verfolgung der Gläubigen unter den heidnischen Kaisern? Welchem Heiligen huldigt sie am meisten und wie benimmt man sich ihr gegenüber? Welche Themen interessieren sie und welche sollte man meiden? Braucht sie in ihrem Hause noch jemanden für eine Stellung, die vakant ist? Liktoren scheint sie ja zum Beispiel im Übermass schon zu haben. Welchen Platz füllst du aus, oh, überaus Ausfüllender?"
|
|
|
Post by Benedetto on Oct 24, 2015 13:20:10 GMT
"Sie ist eine Ahnin, Angelique, und ich weiß nicht viel über sie. Auch wenn es sicher interessant wäre, ist es doch zu gefährlich, nach solchem Wissen zu streben." Benedetto machte eine abwehrende Geste, um seine Worte zu unterstreichen. "Aber wie ich bereits sagte: Sie sucht nach Stabilität für ihre Stadt. Überlegt selbst, welche eurer Gaben ihr dabei helfen können." Er rieb sich das Kinn. "Was mich angeht, so bin ich der Älteste der Kappadozianer, was immer das mit sich bringt und übe ansonsten kein Amt aus. Die Suche nach Wissen verschlingt genug Zeit an sich."
Dann zuckte er mit den Schultern. "Das Blutsband zwischen Erzeuger und Kind ist, soweit nicht anders erzwungen, nicht stärker als nach dem ersten Trunk. Mein Erschaffer würde verstehen, dass ich ein zweites solches Band zu meiner Lehnsherrin knüpfe. Sie zwingt nicht mehr als einen solchen Trunk."
|
|
|
Post by Angelique on Oct 24, 2015 14:07:34 GMT
Angelique nickte. "Ich verstehe. Und doch wäre mir lieber, die Kommunion von jemanden zu empfangen, der mir bekannt ist und sympathisch." Mit diesen Worten kniete sich die winzige Malkavianerin vor den grotesk übergewichtigen Kappadokier und schloss die Augen. Wie ein Kind bei der Erstkommunion öffnete sie den Mund und streckte die Zunge halb hervor.
Für einen Moment musste der düstere Mönch verwirrt sein, aber dann sollte er verstehen, was Angelique ihm anbot: Das Ius Prima Nocte des Bluteides, sozusagen. Würde er dieses Angebot annehmen?
|
|
|
Post by Benedetto on Oct 24, 2015 15:04:06 GMT
Benedetto zog die Augenbrauen hoch und schüttelte dann leicht den Kopf. "Nein, Angelique, dies ist nicht notwendig. Ich möchte nicht, dass eure Wertschätzung von anderen Dingen als meinen Taten abhängt." Er half ihr auf die Beine. "Kniet vor Aurore, wenn es soweit ist. Sie wird es zu schätzen wissen. Ich für meinen Teil begnüge mich mit eurem wachen Verstand." Nachdenklich betrachtete er die kleine Malkavianerin.
"Ich denke, wir sollten uns nach eurer Audienz wieder sprechen. Bis dahin werde ich mit der Arbeit an unserem gemeinsamen Werk beschäftigt sein. Ich ermahne euch noch einmal: Seid vorsichtig mit dem, was ihr gegenüber Aurore sagt und tut. Ihr habt eine sehr... offene Art zu sprechen und die Ventrue tolerieren so etwas selbst von Orakeln nur begrenzt."
|
|
|
Post by Angelique on Oct 28, 2015 21:19:12 GMT
Angelique nahm sich vor einige Bögen Pergament zu besorgen. Sie hatte nicht vergessen, dass Benedetto danach verlangte.
|
|
|
Post by Benedetto on Oct 29, 2015 5:35:44 GMT
Das Traktat lag für sie zum Studium bereit und sie konnte mit dem Kopieren der Seiten beginnen. Sie wurde dabei stets von Citus oder Marius betreut, auch wenn Benedetto gelegentlich hereinkam und sie begrüßte oder sich höflich nach dem Stand der Arbeit erkundigte. An einigen Tagen zeigt er ihr zudem erste Entwürfe für die erschreckenden Illustrationen, die das neue Werk begleiten würden. Für längere Gespräche schien er aber zu beschäftigt zu sein.
|
|
|
Post by Angelique on Oct 29, 2015 12:15:52 GMT
Angelique las die nächsten Nächte intensiv in den Büchern von Benedetto, aber da sie immer noch ärmer als eine Kirchenmaus war, konnte sie noch nichts kopieren.
|
|
|
Post by Benedetto on Oct 30, 2015 22:11:35 GMT
Und so ließ Benedetto sie weiterhin schlicht lesen. Die Zeit würde zeigen, was nach ihrer Audienz geschah...
[Schlage vor, wir machen dann später mal einen neuen Thread auf, wenn es Fortschritte gibt und beenden das hier.]
|
|
|
Post by Angelique on Dec 7, 2015 21:31:55 GMT
Als Angelique das Buch zuende gelesen hatte, besuchte sie den guten Benedetto erneut und brachte ihm frische Pergamente erlesener Qualität als Geschenk mit.
|
|